Renata Iseli aus Adetswil ZH leidet seit über einem Jahr an einem Fersensporn. Dieser entsteht durch eine Entzündung an der Unterseite der Ferse, dabei bildet sich ein dornartiger Auswuchs. «Nach einem längeren Spaziergang am Strand hatte ich plötzlich starke Schmerzen an der Ferse», so Iseli. Ihr Arzt riet ihr, den Fuss zu schonen, und verordnete ihr eine Physiotherapie.
Die Therapeutin behandelte Iselis Fuss während 9 Wochen mit Stosswellen. Dabei verwendete sie ein Gerät, das Druckimpulse auf den Fuss abgibt. Sie fühlen sich an wie kleine Hammerschläge. Iseli: «Geholfen hat langfristig aber nichts.» So wie Renata Iseli geht es vielen Menschen. Eine Physiotherapie dauert oft lange, und nicht alle Behandlungen sind wirksam.
Die Stosswellentherapie bei einem Fersensporn zum Beipiel ist umstritten. In einem Artikel, der 2019 im Fachmagazin für Physiotherapie «Physiopraxis» erschienen ist, steht: «Nicht immer führt diese Methode zum Erfolg, und die Studienlage dazu ist widersprüchlich.» Das unabhängige Informationsportal Medizin-transparent.at kam 2018 zum Schluss, dass eine Stosswellentherapie «wahrscheinlich» bei einem Fersensporn hilft. Aber: Davon profitieren nur gerade 14 von 100 Behandelten. Medizin-transparent.at schreibt: «In vielen Fällen bessern die Beschwerden von alleine wieder.»
Physioswiss-Liste mit nutzlosen Behandlungen
Auch andere Behandlungen in der Physiotherapie sind häufig nutzlos: Der Trägerverein Smarter Medicine hat vor kurzem eine Liste mit solchen Behandlungen veröffentlicht. Der Verein setzt sich dafür ein, «die medizinische Über- und Fehlversorgung zu verringern». Getragen wird er von acht Organisationen: darunter die Stiftung für Konsumentenschutz, der Schweizer Physiotherapieverband Physioswiss und die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften.
Physioswiss hat die Liste erarbeitet. Der Verband liess Untersuchungen zu verschiedenen Behandlungen von Fachleuten überprüfen. Daraufhin stimmten die Mitglieder von Physioswiss darüber ab, welche Therapien auf die Liste kommen. Folgende Behandlungen haben keinen Nutzen:
- Ultraschall gegen Arthrose: Bei Arthrose verordnen Ärzte oft Physiotherapie. Dadurch lassen sich Operationen vermeiden. Physioswiss rät aber davon ab, eine Knie- oder Hüftarthrose nur passiv zu behandeln. Passiv sind alle Therapien, bei denen die Patienten selbst nichts tun müssen – zum Beispiel Massagen oder Ultraschall. Ultraschall funktioniert ähnlich wie die Stosswellentherapie. Es sind jedoch eher sanfte Schwingungen, die zum Einsatz kommen. Smarter Medicine schreibt: «Passive Behandlungsmethoden zeigen keine messbare Wirkung.» Besser ist es laut Physioswiss, die Beschwerden aktiv mit Übungen und Bewegung zu lindern. Gesundheitstipp-Arzt Thomas Walser empfiehlt bei Arthrose: Radfahren, Schwimmen oder Wassergymnastik.
- Massagen bei Rückenweh: Bei Rückenschmerzen bieten viele Physiotherapeuten Massagen an. Auch hier gilt: Passive Behandlungen sollten bei Rückenschmerzen nicht über längere Zeit allein zum Einsatz kommen. Physioswiss sagt dazu: «Sich aktiv zu bewegen, ist bei Schmerzen im unteren Rücken meist wirksamer.» Thomas Walser empfiehlt: «immer in Bewegung bleiben – keine Bettruhe!» Massagen und Wärme könnten bei akuten Schmerzen aber kurzfristig helfen, da sie eine entspannende Wirkung auf die Muskeln haben.
- Physio bei Verstauchung: Manche Ärzte schicken Patienten mit einem verstauchten Knöchel in die Physiotherapie. Das ist umstritten. Eine Studie, die 2016 im renommierten Fachmagazin «British Medical Journal» erschienen ist, zeigt: Physiotherapie bringt verglichen mit einer Selbstbehandlung zu Hause keine Verbesserung. Die Studie wurde mit rund 500 Patienten durchgeführt. Gesundheitstipp-Arzt Thomas Walser ist überzeugt: «Ein verstauchter Knöchel benötigt keine Physiotherapie.» Physioswiss rät lediglich von Ultraschall ab.
- Elektrotherapie bei Schulterschmerzen: Bei Sehnenkrankheiten der Rotatorenmanschette in der Schulter kommt häufig Elektrotherapie zum Einsatz. Die Rotatorenmanschette besteht aus vier Sehnen. Diese können sich durch Überlasten oder Verschleiss entzünden. Eine Übersichtsstudie der Forschergruppe Cochrane zeigte 2016: Der Nutzen von Elektrotherapien bei solchen Schulterbeschwerden ist nicht klar. Die Forscher schreiben, sie seien sich nicht sicher, ob diese Massnahmen einen Vorteil gegenüber anderen haben. Das bekannteste Verfahren der Elektrotherapie ist die «transkutane elektrische Nervenstimulation», kurz Tens: Auf der Haut angebrachte Elektroden leiten dabei Stromimpulse in den Körper. Physioswiss rät nur von Ultraschall ab: «Es gibt keinen ausreichenden Nachweis für die Wirksamkeit.»
Walter O. Frey, Sportarzt in Zürich, fasst zusammen: «Nachhaltig ist nur, was der Patient selbst umsetzt.» Passive Therapien allein hätten langfristig keinen Nutzen. Sie sollten nur in Kombination mit aktiven Massnahmen oder zur Vorbereitung dafür eingesetzt werden. Aktive Massnahmen umfassen Bewegung wie Kraft- und Dehnübungen oder Sport.
Laut Smarter Medicine gibt es zudem immer mehr Belege dafür, dass passive Behandlungsstrategien schaden könnten, «indem sie die Ängste, bei Schmerzen körperlich aktiv zu sein, noch verstärken».
Wie häufig die genannten Behandlungen in der Schweiz durchgeführt werden, ist nicht bekannt. Eine Übersichtsstudie trug die Daten aus 19 anderen Ländern zusammen. Das Resultat: Jeder vierte Physiotherapeut führt bei Rückenschmerzen oder verstauchten Knöcheln auch Therapien durch, von denen Experten abraten. Die Studie ist 2019 im renommierten «British Medical Journal» erschienen.
Renata Iseli hat sich inzwischen mit den Schmerzen durch den Fersensporn abgefunden. Die Freude an langen Spaziergängen lässt sie sich dadurch aber nicht nehmen. Und die Dehnübungen, die sie in der Physiotherapie gelernt hat, macht sie bis heute.
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