Einen Sommer lang Käsekessel reinigen, Kuhmist schaufeln und in einer Alphütte ohne Strom übernachten: Warum tun Sie sich das an?
Früher ging ich jeden Sommer auf eine Alp ins Tessin, ins Bündnerland oder in die Berner Alpen. Dann wurde ich Mutter, und die Alp fehlte mir nicht. Erst als meine Kinder älter wurden, spürte ich: Ich will wieder in die Berge. Dass die Arbeit streng ist, hat mich nie gestört. Ich arbeite zügig. Es kommt allerdings immer wieder vor, dass Alphelfer nach kurzer Zeit abreisen.
Warum?
Manche Leute haben falsche Vorstellungen von der Arbeit auf einer Alp. Das ist ein Knochenjob. Mit Bergromantik allein übersteht man das nicht. Nur schon die Pflege des Käses: Wer Dutzende von 14-Kilo-Laiben bürstet und wendet, spürt das danach. Oder stundenlang die Kühe melken: Fürs Handgelenk ist das eine sehr spezielle Bewegung, die schmerzen kann. Ich kenne Alphelfer, die wegen einer Sehnenscheidenentzündung ihren Einsatz abbrechen mussten. Auch mein Mann hat einmal eine halbe Saison mitgemacht. Dann sagte er: nie wieder.
Wie reagierte Ihre Familie, als Sie ihr mitteilten, dass Sie den Sommer allein auf der Alp verbringen würden?
Sehr gut. Mein Mann meinte sofort, dass ich das machen solle. Ich zweifelte zunächst, da ich meine beiden Kinder nicht wochenlang allein lassen wollte.
Trotzdem sind Sie gegangen.
Ja, auch weil mein Mann so klar dafür war. Ich musste mich vom Gedanken lösen, dass man so etwas als Mutter nicht machen dürfe. Dabei wusste ich immer, dass mein Mann genauso gut zu den Kindern schauen kann. Mehr noch: Bei Besuchen auf der Alp lernten meine Kinder eine neue Seite von mir kennen.
Welche?
Plötzlich war ich nicht nur die Mutter, sondern auch eine Frau, die routiniert eine Alp managt. Kühe mit Hörnern melken, bei der Geburt eines Kälbchens dabei sein, Alp- und Raclettekäse herstellen – all das fanden meine Kinder toll. Sie sahen, dass mich auch Dinge glücklich machen, die nichts mit der Familie zu tun haben.
Auf der Alp arbeiteten Sie mit anderen Alphelfern zusammen. In dieser Abgeschiedenheit kann man sich leicht verlieben. Ist Ihnen das schon passiert?
Ja, in jungen Jahren habe ich mich mal in einen Älpler verliebt. Jetzt bin ich älter und stürze nicht mehr kopflos in ein Abenteuer.
Sprechen Sie mit Ihrem Mann darüber?
Ja, das tun wir. Zugegeben, das Thema ist nicht ganz einfach. Wir vertrauen uns aber, und er weiss, wie gut mir der Sommer auf der Alp tut.
Geht es im nächsten Sommer wieder auf eine Alp?
Ja, hoffentlich. Andere reisen ins Amazonasgebiet, ich in die Berge. Ich brauche die Alp, sie macht mich glücklich. Im letzten Jahr habe ich dafür sogar meinen Job gekündigt, weil man mir keine unbezahlten Ferien geben wollte.
Ursula Rathgeb
Die Pflegefachfrau verbrachte im Sommer neun Wochen lang als Alphelferin auf der Berner Alp Halten auf 1885 Meter über Meer. Dort verarbeitete sie Milch von 17 Kühen zu Alp-, Halbweich- und Raclettekäse. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Wädenswil ZH.