Viele Leute haben im Alter ein geschwächtes Herz. Sie nehmen deshalb Medikamente – zum Beispiel Entresto, hergestellt von der Firma Novartis. Die Produktion einer Tablette kostet den Konzern 13 Rappen – er verkauft sie aber für Fr. 2.30. In den USA ist der Preis sogar noch höher. Resultat: Im Jahr 2023 erzielte Novartis mit Entresto einen Umsatz von rund 6 Milliarden US-Dollar – so viel wie mit keinem anderen Mittel.
Mit Patenten sorgt Novartis dafür, dass das so bleibt. Ein Patent ist ein exklusives Recht auf eine Erfindung. Der Inhaber kann anderen Firmen 20 Jahre lang das Herstellen und Vermarkten des Produkts verbieten. Bei Medikamenten bedeutet das: Es gibt keine günstigen Generika, sondern nur die teuren Originalpräparate.
Das Patent für Entresto – eine Kombination aus zwei Wirkstoffen – lief eigentlich letztes Jahr ab. Doch in der Zwischenzeit beantragte Novartis neue Patente für Teilbereiche des Medikaments: zum Beispiel für die Verwendung, die Dosierung und die Art der Verabreichung. Novartis erhielt immer wieder neue Patente, wie die unabhängige Zürcher Rechercheplattform Public Eye kürzlich aufzeigte. Das Monopol verlängerte sich so um 18 Jahre – bis 2042.
Entresto ist kein Einzelfall: Etliche Pharmafirmen versuchen, mit neuen Patenten ihre Medikamente über längere Zeit zu schützen. Wie oft das passiert, lässt sich schwer abschätzen. Ingrid B. Müller vom Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum sagt: «Medikamente sind häufig von mehreren Patenten geschützt.» Ist die Erfindung neu, erfinderisch und gewerblich anwendbar, kann das Institut dafür ein Patent erteilen. Es überprüft aber nicht, ob die Behandlung den Patienten wirklich hilft. So verhindern die Unternehmen, dass andere Firmen mit dem Wirkstoff günstigere Mittel herstellen.
«Wettbewerb durch Generika wird blockiert»
Experten kritisieren das. Die Plattform Public Eye hielt fest, solche Patente seien missbräuchlich. Denn sie würden keinen therapeutischen Nutzen erzeugen, sondern seien «eine regelrechte Abzocke auf Kosten des Rechts auf Gesundheit für alle».
Die Zeitschrift «Arznei-Telegramm» schrieb kürzlich von einem «Patent-Dickicht». Es sei fraglich, ob die vielen Patente tatsächlich innovative Ideen schützten oder primär dazu dienten, «den Wettbewerb durch Generika möglichst lange zu blockieren».
Der deutsche Pharmakritiker Jörg Schaaber schreibt in seinem Buch «Pillen-Poker»: «Patente hemmen den echten Fortschritt eher, als dass sie ihn fördern.» Begründung: Erziele man hohe Gewinne mit Wirkstoffen, die keine Vorteile böten, erlahme der Wille der Industrie, neue Mittel zu erfinden, die für Patienten einen echten Mehrwert bringen.
Kosten für Medikamente sorgen für höhere Prämien
Hinzu kommt: Verlängerte Patente sind mitverantwortlich für die stetig steigenden Krankenkassenprämien. Die Kosten für Medikamente haben daran einen grossen Anteil: Sie stiegen in den letzten zehn Jahren um über 50 Prozent. Im Jahr 2023 betrugen sie laut Bundesamt für Gesundheit über 9 Milliarden Franken. Diese Kosten würden im Vergleich zu anderen Leistungen «überdurchschnittlich» wachsen. Über die Hälfte davon entfallen auf patentierte Mittel.
Novartis schreibt dem Gesundheitstipp, es sei teuer und komplex, neue Medikamente zu entwickeln. Für den Pharma- und Forschungsstandort Schweiz sei ein «umfassender Patentschutz» wichtig.
Humira, Ibrutinib, Tenofovir: So verlängerten die Hersteller den Patentschutz
- Humira ist ein Medikament gegen Rheuma, entzündliche Darmkrankheiten und Gelenkkrankheiten. Bis 2020 machte Hersteller Abbvie damit einen Umsatz von 107 Milliarden Franken. Abbvie meldete das Patent dafür im Jahr 1996 an. Danach folgten 257 weitere Patentanträge für das gleiche Medikament – fast die Hälfte davon erst nach 2013. Einige zielten auf Anwendungsgebiete, andere auf die Einnahmeform oder den Herstellungsprozess. In Europa gibt es heute Generika für Humira. Darauf verteuerte Abbvie das Mittel in den USA.
- Ibrutinib ist ein Krebsmittel. Es war bereits zugelassen, als die US-Zulassungsbehörde feststellte, dass für die erwünschten Wirkungen weniger als die Hälfte der Dosis ausreichte. Die Behörde empfahl ausdrücklich, Tests mit geringeren Mengen des Mittels zu machen. Das tat der Hersteller Abbvie aber nicht, denn es hätte seinen Patentschutz gefährdet. Die zuständige Behörde hatte angedeutet, es gebe für eine kleinere Menge keinen neuen Schutz.
- Tenofovir ist ein Aidsmedikament, das es seit 2001 gibt. Hersteller Gilead forschte zu einer vermutlich besser verträglichen Form des Wirkstoffs. Doch Gilead hielt die Studie unter Verschluss und publizierte sie erst kurz vor dem Ablauf des Wirkstoffpatents. 2016 führte Gilead die abgewandelte Form mit neuem Patentschutz ein. Gilead schreibt dazu, das Entwickeln neuer Medikamente könne wissenschaftlich und wirtschaftlich riskant sein. 90 Prozent aller neuen Wirkstoffe würden während der Entwicklung scheitern. Erst ab Markteintritt erziele man mit einem Mittel Einnahmen. Deshalb sei der Patentschutz wichtig.