Anita Sauter, 55, aus Romanshorn TG hat seit zehn Jahren Parkinson. Bei dieser Krankheit ist der Stoffwechsel des Botenstoffs Dopamin im Gehirn gestört. Das führt zum Zittern von Armen und Beinen oder Schwierigkeiten beim Gehen. Heilen kann man die Krankheit nicht, Medikamente lindern nur die Symptome.
Sauter musste in den letzten Jahren häufig das Medikament wechseln. Die Nebenwirkungen zwangen sie dazu: «Bei Requip und Selegilin hat mein Magen rebelliert, und von einem anderen Medikament bekam ich einen Herzklappenfehler.»
So ergeht es vielen Parkinson-Patienten. Es gibt zwar einen Wirkstoff, der gegen die Symptome besser wirken würde: Levodopa. Er ist in Medikamenten wie Madopar oder Sinemet enthalten. Doch Ärzte zögerten bisher, den Wirkstoff frühzeitig zu verschreiben. Denn seine Wirkung lässt mit der Zeit nach, Patienten müssen immer wieder die Dosis erhöhen. Zudem hat das Mittel unangenehme Nebenwirkungen. Deshalb empfahlen bisher auch Fachgesellschaften, Levodopa als Reserve aufzusparen.
Studie: Levodopa kann man früher einsetzen
Doch nun sagen Forscher der Universitäten Birmingham und Oxford: Ärzte sollen den Wirkstoff ruhig früher einsetzen. Das Aufschieben bringe den Patienten keinen Vorteil. Die Forscher untersuchten bei 1600 Patienten, wie verschiedene Wirkstoffe ihre Lebensqualität beeinflussten. Dazu gehören neben Levodopa Medikamente wie Sifrol, Selegilin oder Requip (siehe PDF). Alle Wirkstoffe haben eines gemeinsam: Sie erhöhen im Gehirn die Menge von Dopamin, und das lindert die Symptome.
Die Patienten waren 62 bis 71 Jahre alt und hatten die Diagnose Parkinson neu bekommen. Die Untersuchungen dauerten drei bis sieben Jahre und waren ausschliesslich mit öffentlichen Geldern finanziert.
Das Resultat: Die mit Levodopa behandelten Patienten mussten während der Studie die Dosis im Schnitt um 50 Prozent erhöhen, weil die Wirkung nachliess. Bei den anderen Medikamenten war das aber auch der Fall. Bei diesen kam es zudem wie bei Anita Sauter zu einem Medikamentenwechsel – und erst noch zu mehr Abbrüchen der Therapie. Grund dafür waren Schlaf- und Verdauungsstörungen sowie psychiatrische Probleme, wie Depressionen oder Kauf- und Sexsucht.
Wer seine Therapie sofort mit Levodopa begann, hatte zudem etwas weniger körperliche Beschwerden und konnte das tägliche Leben besser meistern. Auch war der Anteil der Patienten, die eine Demenz bekamen, etwas tiefer.
Experten: Medikament gut dosieren
Experten kommentieren die Studie unerwartet euphorisch. Das deutsche «Arznei-Telegramm» schreibt, die Untersuchungen würden «in beeindruckender Weise» bescheinigen, dass Levodopa besser abschneide. Auch der deutsche «Arzneimittelbrief» schreibt, Levodopa sei «das wirksamste Arzneimittel». Die Autoren sehen keinen Vorteil mehr, die Therapie zuerst mit anderen Medikamenten als Levodopa zu beginnen.
Auch der renommierte Schweizer Neurologe und Parkinson-Experte Hans-Peter Ludin schreibt im Fachblatt «Pharma-Kritik», er finde es vernünftig, Patienten sofort mit Levodopa zu behandeln. Die Studie zeige, dass es nicht mehr Komplikationen gebe als mit anderen Medikamenten.
Fachleute raten allerdings, die Dosis von Levodopa auf mehrere Portionen zu verteilen. So könne man die Nebenwirkungen – dazu gehören unkontrollierte Bewegungen im Gesicht, am Nacken oder an Armen oder Beinen – vermindern. Das sagt Etzel Gysling, Internist aus Wil SG und Herausgeber der «Pharma-Kritik».
Auch für jüngere Patienten geeignet
Unklar bleibt, wie gut die Therapie bei Patienten unter 60 Jahren wirkt. Denn dazu sagt die neue Studie nichts. Trotzdem raten die Experten vom «Arzneimittelbrief» Ärzten, jüngeren Patienten den Wirkstoff ebenfalls zu verschreiben. Die Strategie, Levodopa hinauszuzögern, sei aufgrund der neuen Befunde «anzuzweifeln». Auch für Stephan Bohlhalter, Neurologe am Kantonsspital Luzern, steht fest: «Mit Levodopa machen wir auch bei jüngeren Patienten nichts falsch.»
Denn wenn Medikamente bei ihnen nicht mehr genug wirkten, stünden weitere Therapien zur Verfügung. Zum Beispiel die Pumpentherapie: Bei dieser Methode erhält der Patient die Medikamente mit einer Pumpe durch die Haut. Dies erhöht die Wirksamkeit der Mittel – ohne dass die Nebenwirkungen grösser werden.
Bei der Hirnstimulation setzen Chirurgen dem Patienten einen Schrittmacher ins Gehirn. Zwei Elektroden reizen die Gehirnregion und normalisieren den Stoffwechsel des Dopamins. Auch Anita Sauter, die die Selbsthilfegruppe Jupp Säntis für junge Menschen mit Parkinson leitet, hat diese Operation vor einem Jahr machen lassen – mit guten Erfahrungen, wie sie berichtet: «Es geht mir gut. Ich nehme nur noch wenige Medikamente.»
Herstellerin Merck Sharp & Dohme kommentiert die Nebenwirkungen von Sinemet nicht und verweist auf die Packungsbeilage. Für Glaxo Smith Kline, Herstellerin von Requip, zeigt die Studie, dass die Wirkung der unterschiedlichen Therapien ähnlich sei. Levodopa habe leichte Vorteile. Andere Herstellerfirmen nahmen nicht Stellung.