Sie sind in Therapie wegen Internetsucht. Wonach genau sind Sie süchtig?
Zuerst war es Network-Marketing, später kamen Chats und Dating-Apps hinzu.
Network-Marketing?
Das sind Vertriebsnetzwerke im Internet. Es geht darum, Produkte zu verkaufen, einen Kundenstamm aufzubauen und andere Leute als «Händler» fürs Vertriebsnetzwerk zu gewinnen und so auf Provision Geld zu verdienen.
Ist das ein Schneeballsystem?
So ähnlich, ja.
Das kann süchtig machen?
Ja. Als ich 25 Jahre alt war, starb mein Vater. Das war schlimm für mich. Kurz darauf verlor ich meine Arbeit und landete auf dem Sozialamt. Geld vom Amt anzunehmen fiel mir schwer. Im Internet informierte ich mich tage- und nächtelang, wie ich dort mein Geld verdienen kann. Ich habe vieles ausprobiert und mich komplett darin verloren.
Hat es etwas gebracht?
Nein. In diesem Feld tummeln sich viele Scharlatane, die einem das grosse Geld versprechen. Ich habe aber viel Geld verloren.
Wie kamen die Chats hinzu?
Ich hatte kaum noch Kontakt zu Freunden, fühlte mich einsam und leer. Ich wollte mit jemandem sprechen, um die innere Leere zu füllen.
Füllte das Chatten diese Lücke?
Am Anfang schon. Ich schrieb oft an Frauen. Aber es entwickelte sich nie etwas Ernstes. Mein Bedürfnis nach körperlicher Nähe versuchte ich mit Pornos zu stillen.
Weshalb kam es nie zu einer echten Beziehung?
Ich stumpfte ab, verlernte meine Gefühle wahrzunehmen. Da war nur noch der Drang, ins Netz und in Chatforen zu gehen. Warnungen von Freunden ignorierte ich.
War das alles nicht stressig?
Doch. Nach stundenlangem Surfen oder Chatten musste ich schlafen, weil ich erschöpft war.
Wirkte sich die Sucht auch sonst auf Ihren Körper aus?
Ja, ich bewegte mich kaum. Nach einigen Jahren wurde ich depressiv. Ich verzweifelte an meiner Situation, die Gedanken drehten sich im Kreis. Später kamen Angstzustände dazu – und Panikattacken, vor allem in Menschenmengen. Damit habe ich noch immer Mühe, weil ich es nicht mehr gewohnt bin.
Nach zehn Jahren suchten Sie Hilfe in einer Klinik. Wieso?
Ich war verzweifelt. Mein Leben führte so ja nirgendwohin.
Wie werden Sie behandelt?
Mit Einzel- und Gruppengesprächen. Strenge Regeln helfen auch. Das Handy zum Beispiel darf ich nur von 18 bis 21 Uhr benutzen.
Sie sind gut zwei Monate in der Klinik. Ist bereits etwas anders?
Ja. Ich nehme zum Beispiel wieder wahr, wie schön die Natur ist und welch positive Wirkung ich auf andere Menschen habe. Das gibt mir neues Selbstvertrauen.
Sie werden das Internet für die Arbeit oder privat nutzen müssen. Haben Sie Angst?
Nein. Ich lerne, sinnvoll damit umzugehen. Ich benutze Smartphone und Laptop nur noch gezielt und kontrolliert.
Zur Person: P. M.
Der 37-jährige Schweizer ist gelernter Verkäufer. Nach der stationären Therapie folgt eine Langzeittherapie auf einem Bauernhof. Danach möchte P. M. gern einen therapeutischen oder sozialen Beruf lernen.