Eine libanesische Tafel ist ein Fest für alle Sinne, auch für die Augen. Auf kleinen Plättchen türmt sich eine Vielfalt von schön angerichteten Vorspeisen mit verschiedenen Farben, Formen und Aromen. Im Libanon heissen diese Vorspeisen Mezze. Die ganze Tischgemeinschaft teilt sich die Plättchen.
Zu den klassischen Mezze gehören Bällchen aus Kichererbsen: die Falafel. Ein erfrischender Salat aus Petersilie, Pfefferminzblättchen und Weizenschrot, genannt Taboulé, darf auf einer Mezze-Tafel nicht fehlen. Beliebt ist auch Hummus, ein fein püriertes Mus aus Kichererbsen mit Sesampaste. Baba Ghanoush heissen die pürierten Auberginen mit leicht rauchigem Aroma. Und Kibbeh sind Bällchen aus Hackfleisch und Weizenschrot. Das typische weiche Fladenbrot wird bei jeder Mahlzeit serviert.
Mezze gibt es auch in Griechenland und in der Türkei. Im Libanon ist die Auswahl jedoch besonders gross – es soll mehrere hundert Varianten geben. Für die Grafikerin und Bloggerin Farrah Berrou aus Beirut sind die Vorspeisen im Libanon der wichtigste Teil der Mahlzeit. «Bevor ein Hauptgang, wie Fleischspiesse oder ein Eintopf, auf den Tisch kommt, ist der Magen oft schon voll.» Deshalb begnügen sich viele Leute mit den Vorspeisen und verzichten auf den Hauptgang.
Mezze – das Gegenteil von Fast Food
Maurice Houraibi, Wirt des Restaurants «Le Cèdre» in Zürich, tischt meistens sechs bis acht verschiedene Mezze auf. Die libanesische Kultur der Vorspeisen sei das Gegenteil von Fast Food: «Es ist schön, verschiedene Sachen auf dem Tisch zu haben», so Houraibi. «Mezze geniesst man langsam – man steht nicht nach zehn Minuten schon wieder auf.» Um mehrere Vorspeisen zuzubereiten, braucht man Zeit. Deshalb kommen zu Hause unter der Woche höchstens eine oder zwei Vorspeisen wie Taboulé oder Hummus auf den Tisch, sagt Maurice Houraibi. Libanesische Familien essen nur am Wochenende die grosse Auswahl an Mezze, wenn sie Freunde oder Verwandte zum Essen einladen.
Die libanesische Ernährung schmeckt nicht nur lecker, sie ist auch gesund. Das bestätigt die Zürcher Ernährungsberaterin Maria Imfeld. Sie zählt die libanesische Küche zur mediterranen Ernährung. Viele Zutaten sind ähnlich wie in Italien und Griechenland: Auch im Libanon kocht man viel Gemüse, wie Auberginen, Zucchini, Tomaten und Knoblauch. Statt Butter kommt Olivenöl zum Einsatz. Und weil Fleisch in arabischen Ländern teuer ist, liefern Hülsenfrüchte wie Kichererbsen und Linsen das Eiweiss.
Studien zeigen laut Imfeld, dass die mediterrane Diät vor Herzkrankheiten schützt. Denn die im Gemüse und im Knoblauch enthaltenen sekundären Pflanzenstoffe tun dem Kreislauf gut. Und die Kohlenhydrate in Hülsenfrüchten lassen den Blutzucker nur langsam ansteigen. Maria Imfeld: «Das ist gut für die Linie.»
Gegenüber der italienischen und griechischen Küche habe die libanesische den Vorteil, dass sie «noch nicht so verwässert» sei. In Italien esse man heute mehr Fleisch und Süssigkeiten als früher, was den gesundheitlichen Wert der Ernährung schmälere. Im Libanon kommen Steaks und Würste selten auf den Tisch. Und zum Dessert werden oft Früchte gereicht.
Beliebt: Gefüllte und geschmorte Gemüse
Die libanesische Küche hat aber noch mehr zu bieten als Mezze. Beliebt sind gefüllte und geschmorte Gemüse. Vor allem Auberginen, Tomaten und Zucchetti eignen sich dafür. Gefüllt werden die Gemüse mit Reis, zerkleinerten Nüssen, Hackfleisch oder anderen Gemüsesorten. Ein klassisches Gericht heisst Loubie bil Zeit – auf Deutsch: Bohnen mit Tomaten. Man verfeinert es mit Zwiebeln, Olivenöl und Zitronensaft. Weil viele Gerichte kein Fleisch enthalten, ist die libanesische Esskultur auch für Vegetarier interessant.
Fast alle libanesischen Gerichte kann man einfach und schnell zu Hause kochen (siehe Merkblatt mit Rezepten). Grossverteiler wie Coop und Migros verkaufen die meisten nötigen Zutaten, wie das Weizenschrot Bulgur und die Sesampaste Tahini. Nur gewisse orientalische Gewürze sind etwas schwerer zu beschaffen. Die «Sieben-Gewürz-Mischung», auch als Baharat bekannt, besteht aus gemahlenen Nelken, Piment, Pfeffer, Zimt, Muskatnuss, Bockshornklee-Samen und Ingwer. Man kann diese Gewürzmischung in türkischen Lebensmittelgeschäften kaufen. Das original libanesische Fladenbrot ist zwar in der Schweiz schwer erhältlich. Aber man kann es mit Weizenmehl-Tortillas ersetzen oder selbst backen.
Das Zubereiten von Hummus geht am schnellsten, wenn man Kichererbsenmehl aus dem Reformhaus mit heissem Wasser anrührt. Man kann auch Kichererbsen aus der Dose mit dem Mixer pürieren. Verfeinert wird der Hummus mit Tahini, Knoblauch, Zitronensaft und Kreuzkümmel. Wenn man Hummus nach der traditionellen Art zubereiten will, kocht man die Kichererbsen selbst. Nasser Al Achkar, Wirt des Restaurants «Noon» in Zürich, empfiehlt: «Dosenware sollte man nur im Notfall verwenden. Mit selbst gekochten Kichererbsen schmeckt der Hummus besser.» Wegen der langen Kochzeit braucht man dafür aber viel Geduld.
Gerichte wie Hummus und Falafel sind nicht nur im Libanon beliebt, sondern im ganzen östlichen Mittelmeergebiet. Wer diese Gerichte erfunden hat, ist schwer zu sagen. Für Maurice Houraibi ist aber klar: «Hummus stammt ursprünglich aus dem Libanon.»