Dass etwas nicht stimmte, merkte Gerhard Anthamatten (Name geändert) erstmals vor rund zwanzig Jahren. Der heute 67-jährige Walliser bekam immer wieder Hautausschläge an den Beinen. Dann begann es im linken Auge: Ein Blutgefäss in der Netzhaut hatte sich entzündet. Anthamatten musste viel Kortison schlucken. Sobald der Arzt die Menge herabsetzte, flammte die Entzündung erneut auf.
Damit nicht genug. Zwei Jahre später kam es erneut zu einer Entzündung, diesmal im Rückenmark. Anthamatten hatte deshalb Schmerzen im Kreuz, und die Blase funktionierte nicht mehr richtig.
An einem Morgen im Februar 2002 kam es noch schlimmer: «Plötzlich spürte ich meine Beine nicht mehr», erinnert sich Gerhard Anthamatten. Er sackte zusammen und stürzte. Seither stand er nie mehr auf seinen Beinen. Anthamatten sitzt heute im Rollstuhl. Die Ärzte hatten ihn von oben bis unten untersucht. Sie vermuteten eine Infektion, multiple Sklerose oder andere Krankheiten. Doch nichts davon bestätigte sich. Das Fazit: eine Entzündung des Rückenmarks, Ursache unbekannt.
Anthamatten kam schon früh ein Verdacht: Das Essen könnte seine Entzündungen beeinflussen. Längere Zeit notierte er genau, was er ass und wie sich die Beschwerden von Haut, Auge und Rücken entwickelten. Er vermutete, dass der Geschmacksverstärker Glutamat eine Bedeutung haben könnte.
Anthamatten verzichtete deshalb auf Fertiggerichte, Tütensuppen sowie Würste, Salami und Mortadella, die er früher so gerne und reichlich ass. Mit erstaunlichem Erfolg: «Seither ist die langwierige Entzündung im Auge endlich weg.» Auch die Hautausschläge kommen nur noch, wenn er etwas gegessen hat, was Glutamat enthält. «Ohne Glutamat geht es mir besser», sagt er.
Zu viel Glutamat kann Nerven schädigen
Tatsächlich gibt es Hinweise, dass Glutamat bei Entzündungen eine Rolle spielt und Nerven schädigen kann. Glutamat ist nicht nur ein Zusatz in Lebensmitteln. Der Körper produziert den Stoff auch selber. Er braucht ihn als Botenstoff, der Signale von Nervenzelle zu Nervenzelle überträgt. Zu viel Glutamat kann die Nerven überreizen und schädigen. Das haben Tierversuche gezeigt.
Laut dem deutschen Medizinprofessor Michael Hermanussen kann auch Glutamat aus der Nahrung «zu empfindlichen Funktionsstörungen von Nervenzellen im Gehirn» führen. Forscher brachten verschiedene Nervenkrankheiten mit Glutamat in Verbindung: Alzheimer, Parkinson oder multiple Sklerose, eine entzündliche Krankheit von Gehirn und Rückenmark. Bewiesen ist dies aber noch nicht.
Der Ernährungswissenschafter Hans-Helmut Martin vom deutschen Verband für unabhängige Gesundheitsberatung sagt: «Ich halte es für denkbar, dass Glutamat einen Einfluss hat auf Entzündungen im Auge, im Rückenmark oder auf der Haut.» Denn in allen drei Bereichen habe Glutamat eine Funktion. Von Schäden am Auge berichtete auch der japanische Wissenschafter Hiroshi Oghuro. In einem Versuch fand er heraus, dass Ratten, die viel Glutamat frassen, häufiger Schäden an der Netzhaut erlitten.
Kopfweh durch Glutamat in chinesischer Suppe
Immer wieder berichten Menschen von Beschwerden im Zusammenhang mit Glutamat. Bekannt ist das «Chinarestaurant-Syndrom». Der US-amerikanische Arzt Robert Ho Man Kwok beschrieb das Phänomen erstmals 1968: Wenn er im Chinarestaurant Wan-Tan-Suppe gegessen hatte, spürte er jeweils kurze Zeit später eine Starre in Nacken, Armen und Rücken. Hinzu kamen Schlaffheit und Herzklopfen, später folgte Kopfweh.
Chinesisches Essen, etwa Sojasauce, enthält oft viel Glutamat. Ob diese Beschwerden auf den Geschmacksverstärker zurückzuführen sind, ist umstritten. Laut der österreichischen Cochrane-Zweigstelle, einem Netzwerk von unabhängigen Wissenschaftern, lässt sich nicht ausschliessen, dass einzelne Personen «sensibel auf grosse Mengen Glutamat reagieren».