Der Arzt Manuel Battegay lobt das Medikament Remdesivir. Damit behandelt er im Basler Universitätsspital schwerkranke Coronavirus-Patienten. Das Mittel soll die Vermehrung der Viren hemmen. Eigentlich wurde es für die Behandlung der Viruskrankheit Ebola entwickelt. Battegay hofft dennoch, dass es die Sterblichkeit «bereits dieses Jahr» deutlich senken könne. Das sagte der Chefarzt des Spitals im Interview mit dem «Tages-Anzeiger».
Manuel Battegay bekämpft das Coronavirus mit einigen weiteren Medikamenten, die dafür nicht zugelassen sind. Dazu zählen das Malariamittel Hydroxychloroquin, das Rheumamittel Acremra und das Aidsmedikament Kaletra. Sie wirken gegen Infektionen mit anderen Viren und gegen Entzündungen. Deshalb hoffen Ärzte, dass sie auch Corona-Patienten helfen. Auch die Universitätsspitäler in Zürich, Genf und Lausanne setzen Medikamentencocktails gegen die Viruskrankheit ein.
Todesfallrate in sieben Spitälern ermittelt
Eine Auswertung des Gesundheitstipp zeigt jetzt: Diese Medikamente verhinderten in den Spitälern bisher kaum Todesfälle. Der Gesundheitstipp sammelte dazu die Daten zu allen Corona-Patienten in sieben grossen Spitälern bis Ende April. Das Basler Unispital, das die experimentellen Mittel einsetzt, behandelte in dieser Zeit 284 Patienten, 16 davon starben. Das entspricht einer Todesfallrate von 5,6 Prozent (siehe Tabelle im PDF). Im Unispital Lausanne, das die Mittel ebenfalls einsetzt, starben 63 der 629 Patienten. Das sind 10 Prozent.
Diese Raten sind nicht tiefer als in Spitälern, die auf experimentelle Medikamente wie Remdesivir oder Hydroxychloroquin verzichten. Beispiel: die Spitäler der Berner Insel-Gruppe. Dort lagen bis Ende April 142 Corona-Patienten. Davon starben elf. Das ergibt in Bern eine ähnliche Todesfallrate (7,7 Prozent) wie in Basel.
Statt mit Remdesivir behandelt das Inselspital die Corona-Patienten mit bewährten Mitteln und achtet auf eine optimale Beatmung. Hansjakob Furrer, Direktor der Universitätsklinik für Infektiologie am Berner Inselspital, sagt: «Mit dieser Strategie haben wir eher bessere Verläufe als andere Spitäler.»
Auch das Zürcher Triemlispital verzichtet auf experimentelle Medikamente. Hier starben bis Ende April nur zwei Patienten. Andreas Zollinger, Medizinischer Direktor der Zürcher Stadtspitäler Waid und Triemli, sagt, er habe Mittel wie Hydroxychloroquin nur zu Beginn der Pandemie vereinzelt eingesetzt. Seither hätten sich Berichte über einen fehlenden Nutzen und schwere Nebenwirkungen aber gehäuft. Die tiefe Todesrate bezieht sich nur auf die Intensivstation – sie ist aber vergleichbar mit denen anderer Spitäler. Gesundheitstipp-Arzt Thomas Walser sagt: «Die meisten Covid-19-Patienten in den Spitälern sterben auf der Intensivstation.»
Spitäler mit hohen Todesfallraten argumentieren gerne, sie hätten besonders schwere Fälle. Auch Manuel Battegay vom Basler Unispital sagt, er habe «schwerstkranke» Patienten behandelt. Doch das stimmt nur beschränkt. Denn die Nachforschungen des Gesundheitstipp ergaben, dass zum Beispiel das Inselspital Bern im Verhältnis zur Gesamtzahl an Corona-Fällen viel mehr Intensivpatienten hatte – und dennoch eine tiefere Sterblichkeit. Und dies erst noch ohne die neuen Medikamente.
Studien bestätigen: Mittel helfen kaum
Die wenigen vorhandenen Studien bestätigen die Situation in den Schweizer Spitälern. Die englische Fachzeitschrift «The Lancet» berichtete kürzlich, dass Corona-Patienten mit Remdesivir nicht schneller gesund würden. Das ergab eine Studie mit 237 chinesischen Patienten. Die Fachzeitschrift «Arznei-Telegramm» schreibt, der Nutzen von Hydroxychloroquin sei nicht belegt. Die Heilmittelbehörde Swissmedic warnt, das Mittel könne Herzrhythmusstörungen verursachen, die manchmal zum Tod führen. Eine Studie im Fachblatt «New England Journal of Medicine» mit Patienten aus Wuhan (China) zeigte keinen Einfluss von Kaletra auf die Krankheit. Der Arzt Etzel Gysling, Herausgeber der Zeitschrift «Pharma-Kritik», sagt: «Bei keinem dieser Mittel gibt es Daten, die auch nur halbwegs den üblichen Kriterien für klinische Studien genügen.» Auch für den Infektiologen Hansjakob Furrer gibt es «keine klaren Hinweise, dass ein Medikament gegen das Coronavirus nützt».
Remdesivir-Hersteller Gilead entgegnet, die chinesische Studie habe zu wenig Teilnehmer, um endgültige Schlüsse daraus zu ziehen. Die Firma Sanofi schreibt, es sei zu früh, um die Wirksamkeit und die Sicherheit von Hydroxychloroquin zu beurteilen.
Manuel Battegay schreibt dem Gesundheitstipp, eine Sterberate unter 10 Prozent sei im Vergleich mit anderen Spitälern «sehr gut». Neue Studien mit Remdesivir und Actemra hätten «durchaus positive Resultate» gezeigt. Allerdings sind diese Studien umstritten oder noch nicht publiziert.
Spitäler relativieren die Todesfallrate
Das Unispital Zürich schreibt, es übernehme die schweren Fälle von anderen Spitälern, was die Todesfallrate erhöhe. Ein Vergleich mit anderen Spitälern sei deshalb «nur sehr beschränkt» möglich. Tatsächlich waren im Unispital 50 von 128 Patienten schwere Intensivfälle. Das Kantonsspital St. Gallen sagt, beim Vergleich der Todeszahlen seien auch Alter und Begleiterkrankungen der verstorbenen Patienten zu berücksichtigen. Ein Sprecher des Genfer Universitätsspitals sagt, man müsse die Resultate der laufenden Studien abwarten, bevor man den Nutzen der Medikamente beurteilen könne.