Seit vielen Jahren kann Erwin Giger nachts nicht gut schlafen: «Meistens liege ich bis in die Morgenstunden wach», sagt der 66-Jährige aus Ennetmoos NW. Nach Mitternacht geht er zu Bett, dann beginnt der Kampf mit der Schlaflosigkeit. Zwischendurch steht er auf, trinkt einen Tee oder geht zur Toilette. «Irgendwann nervt es nur noch», so Giger. Erst frühmorgens findet er jeweils ein paar wenige Stunden Schlaf.
Giger probierte mehrere Methoden aus, um seinen Schlaf zu verbessern. Doch weder Verhaltenstipps, Pflanzenpräparate noch Schlaftabletten halfen ihm. «Inzwischen habe ich beinahe Angst, ins Bett zu gehen», sagt er. «Ich denke dann, dass ich sowieso nicht einschlafen kann.»
Wie Erwin Giger geht es vielen Leuten: Laut dem Bundesamt für Statistik leidet in der Schweiz jeder Vierte unter Schlafproblemen, bei jedem Dreizehnten sind diese gravierend.
Schlaflosigkeit akzeptieren, statt dagegen anzukämpfen
Wer regelmässig um seinen Schlaf kämpfen muss, findet ihn erst recht nicht: Das ist der Ausgangspunkt einer neuen Therapie gegen Schlafstörungen. Sie heisst Akzeptanz- und Commitment-Therapie, kurz ACT. Commitment steht für engagiertes Handeln. Das Ziel der Therapie: Betroffene lernen, das Wachliegen in der Nacht bewusst zu akzeptieren, statt dagegen anzukämpfen. Das spart Ärger, Frust und damit auch Kraft.
Dabei helfen mentale Techniken, zum Beispiel eine Achtsamkeitsübung: Man liegt mit geschlossenen Augen im Bett. Dann lenkt man das eigene Bewusstsein auf den Körper und versucht genau wahrzunehmen, was man empfindet. Man beginnt mit den Zehen und wandert langsam über die Füsse, Knöchel, Unterschenkel den Körper hoch bis zum Kopf. Andere Übungen helfen, sich von negativen Gefühlen und Gedanken in der Nacht zu distanzieren.
Die Therapie hilft nachweislich, um besser zu schlafen. Das zeigte vor kurzem eine kleine Studie der Universitäten Genf und Bern mit 62 Teilnehmern. Die Forscher verglichen die ACT mit der üblichen Verhaltenstherapie gegen Schlafstörungen. Die Teilnehmer nahmen jeweils sechs Mal an einer Gruppensitzung teil und übten das Gelernte zu Hause. Danach schliefen sie deutlich besser.
Der Vorteil der ACT gegenüber der Verhaltenstherapie: Die Teilnehmer waren zufriedener mit dem Erfolg. Sie schätzten ihre Energie und Produktivität tagsüber höher ein. Eine Übersichtsarbeit mit knapp 1600 Patienten kam 2020 zum gleichen Schluss: «Die ACT verbessert Schlafstörungen deutlich», so das Fazit der Forscher der Universität Kermanshah im Iran. Sie hatten 19 Studien aus Europa und den USA analysiert. Die Therapie half auch Patienten, die wegen chronischen Schmerzen, Tinnitus oder Krebs an Schlafstörungen litten.
Auch die Schlafexpertin Esther Werth, Co-Leiterin des Zentrums für Schlaf- und Stressmedizin in Zürich, hält viel von der neuen Therapie: «Sie hat wesentliche Vorteile.» Sie lenke den Blick weg vom Problem Schlaflosigkeit. Zudem beziehe sie stärker ein, wie es den Betroffenen tagsüber gehe.
Betroffene sollten tun, was ihnen im Leben wichtig ist
Was zudem einen massgeblichen Teil der Therapie ausmacht: Betroffene sollten ihren Fokus auf das richten, was ihnen im Leben wichtig ist und woran sie Freude haben. Statt wegen Schlafproblemen auf Hobbys, Karriere oder Treffen mit Freunden zu verzichten, sollen sie weiterhin ihre Ziele verfolgen.
Laut Esther Werth ist ACT für die meisten Betroffenen geeignet. Wichtig sei es, dass sie bereit seien, sich darauf einzulassen. Eine gute Anleitung finden Betroffene in einem Buch des britischen Schlafforschers Guy Meadows. Patienten mit schweren Schlafstörungen sollten sich an eine Praxis für Schlafmedizin wenden.