Bumm-bumm-bumm-bumm. Laut und kraftvoll dröhnen die indianischen Trommeln. In einem ruhigen Wohnquartier in Grenchen SO treffen sich drei Frauen und ein Mann in der Praxis von Margaretha Lischer. Die Schamanin erklärt: «Der monotone Klang der Trommeln ermöglicht es, in kurzer Zeit in einen trance-ähnlichen Zustand zu kommen.» Dann könne man «geistige Reisen in die nichtalltägliche Wirklichkeit» unternehmen. Auf diese Weise suchen Schamanen Unterstützung bei Geistern, Krafttieren und Ahnen, um ihre Klienten zu heilen.
«Du trommelst mit mir», sagt die Schamanin zu einer jungen Frau. «Hol die zuständigen Ahnen. Dann überlegen wir uns, was dabei herauskommt.» Nach der zweiten Trommelrunde berichten die Mitglieder der Gruppe von ihren Visionen. Und sie geben sich gegenseitig Tipps für die Lösung ihrer Probleme. Die Atmosphäre in der Gruppe ist freundschaftlich und locker. Es wird viel gelacht.
Unterstützung durch «Schutzengel»
Margaretha Lischer ist Teil einer Szene, die in den letzten Jahren gewachsen ist. Im Internet und in Zeitungsinseraten bieten Dutzende Schamanen ihre Dienste an. Zum Beispiel Roger Mattle aus Gossau SG (siehe Seite 20). Er nennt sich «Wegschamane» und beschreibt sich auf seiner Website als «Brückenbauer zwischen der körperlichen und der geistigen Welt». Unterstützt von geistigen Helfern und Schutzengeln könne er «fast grenzenlos Gutes tun». Mattle sagt: «Ich zeige den Menschen, wie sie Selbstheilungskräfte aktivieren und zu Gesundheit, Harmonie und Erfolg finden.»
«Ich habe eine tiefe Entspannung gefühlt»
Schamanen behandeln Klienten auch einzeln. Iris M. (Name der Redaktion bekannt) ging zu Schamanin Monika Hein in Horgen ZH. «Mein Immunsystem war geschwächt. Deshalb litt ich häufig unter Infekten wie Grippe oder Erkältungen», berichtet sie. Bei der schamanischen Reise habe sie eine tiefe Entspannung gefühlt: «Vor meinem geistigen Auge tauchten Bilder aus der Kindheit auf, die mit traumatischen Gefühlen verbunden waren.» Zwei bis drei Wochen nach der Behandlung habe sie sich «innerlich ausgeglichener und körperlich kräftiger» gefühlt, sagt Iris M. «Seither habe ich nur noch einen Infekt pro Jahr statt vier bis fünf wie vorher.»
Doch manche der Heiler behaupten, sie könnten auch schwere Krankheiten wie Krebs heilen. So schreibt Gwion aus Gähwil SG im Internet: «Für die schamanische Heilarbeit ist es unerheblich, ob du an einem Tinnitus oder an Krebs leidest. Es gibt nichts Unmögliches in der Welt der Geister.»
Schamanen lassen sich von Traditionen aus Sibirien, der Mongolei, aus Nepal, Südamerika und anderen Regionen inspirieren. Dort arbeiten Schamanen seit Urzeiten als Medizinmänner, Wahrsager und Zauberer. Ethnologe Florian Gredig ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Nordamerika Native Museum Zürich. Er erklärt den Erfolg der Schamanen in der Schweiz mit der «Sehnsucht vieler Menschen nach einem einfachen, naturverbundenen Leben» und der «Wiederentdeckung der persönlichen Spiritualität».
«Angenehme Jenseitsreisen im Wohnzimmer»
Viele Fachleute stehen dem Schamanismus in der Schweiz kritisch gegenüber. Etwa der Theologe Kai Funkschmidt von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin: «Sibirische Schamanen bereiten sich jahrelang auf ihre Aufgabe vor. Sie trommeln und tanzen stundenlang, bis zur Erschöpfung, und erleben ihre Arbeit als belastend, anstrengend und bedrohlich.» Damit verglichen seien Schweizer Trommelgruppen «angenehme Jenseitsreisen im Wohnzimmer». Funkschmidt: «Hier werden westliche Sehnsüchte auf ferne Kulturen projiziert.» Heilungsversprechen bei schweren Krankheiten wie Krebs seien problematisch: «Es gibt keine Untersuchung, die belegt, dass schamanische Rituale schwere Krankheiten heilen können.»
Die deutsche Psychologin und Wissenschaftsjournalistin Heike Dierbach bemängelt, die Traditionen der ursprünglichen Schamanen würden in Europa verklärt dargestellt. Diese seien keineswegs immer friedlich und naturverbunden: «In Afrika sind Schamanen auch an der Verfolgung von Frauen als Hexen beteiligt. Und in Mexiko hätten die Menschen lieber gut ausgerüstete Spitäler als Schamanen.» Sie räumt jedoch ein: «Psychisch gesunde Menschen können vielleicht etwas Positives aus den Heilzeremonien ziehen.» Für psychisch Kranke stellten die «Reisen» aber eine Gefahr das: «Die Krankheit kann sich verschlimmern. Solche Fälle hatten wir in Deutschland.» In Bezug auf das Heilen von Krebs sagt Dierbach, es sei anmassend, wenn Schamanen alle Krankheiten ihrer Patienten als Ausdruck seelischer Probleme deuten. Studien hätten keinen Zusammenhang zwischen seelischen Problemen und Krebs gezeigt.
Manche nehmen Drogen als Mittel zur Trance
Umstritten ist die Frage, ob Drogen nötig seien, um in Trance zu kommen. Schamane Jakob Oertli aus Windisch AG: «Ich bin gegen Drogen. Sie beeinflussen die Qualität der schamanischen Reise negativ.» Für die traditionellen Schamanen in Amerika sind hingegen berauschende Substanzen wie Pilze oder das Getränk Ayahuasca wichtig, um in Trance zu kommen.
Auch einige Schweizer Heiler verwenden Ayahuasca. Es wird aus einer Liane und Blättern der südamerikanischen Chakrunapflanze gebraut. Erika-Akire Shirma Lengacher aus Hünenberg ZG sagt: «Ich trinke Ayahuasca, um mehr über mich zu erfahren und um Klienten auf ihrem Weg zu unterstützen.» Der Trank verursache einen «angenehmen Rauschzustand». Sie sehe «Regenbogenfarben und einzigartige Muster», berichtet Lengacher.
Doch wer
verwendet, bewegt sich im gesetzlichen Graubereich. Hans-Beat Jenny von Swissmedic sagt: «Ayahuasca enthält zwar die verbotene chemische Substanz Dimetyltryptamin.» Aber die Pflanzen, aus denen das Getränk hergestellt wird, dürfen laut Jenny importiert werden. «Es ist nicht klar geregelt, ob Ayahuasca als verbotenes Präparat oder als erlaubte Pflanze gilt», so Hans-Beat Jenny.
Nichts für Menschen mit psychischen Problemen
Ethnologe Gredig rät von Selbstversuchen ohne Anleitung durch Schamanen ab: «Ayahuasca kann einen starken Rausch erzeugen.» Heike Dierbach warnt: «Menschen mit psychischen Problemen könnten durch Ayahuasca von schlechten Gefühlen überschwemmt werden.» Es sei vorgekommen, dass sich Patienten das Leben nehmen wollten.
Zur Kritik der Fachleute sagt Schamane Roger Mattle: Man habe die Rituale aus Peru oder Afrika «unserer Schweizer Kultur» angepasst. Zudem: «Die geistige Welt unterscheidet nicht, ob sie einem indianischen Ureinwohner oder einem Europäer hilft.»
Jakob Oertli ergänzt, Schamanismus habe nicht den Anspruch, für alle Klienten das Richtige zu sein: «Für manche Patienten ist eine Psychotherapie besser geeignet.» Es stimme auch, dass die «Reisen» für psychisch Kranke gefährlich sein können: «Deshalb müssen Schamanen sorgfältig und verantwortungsvoll vorgehen.»
Schamanin Wehrhahn findet, sie könne schwere Krankheiten wie Krebs «sehr wohl» positiv beeinflussen: «Entscheidend ist, wie der Klient mitmacht und wie viel Eigenverantwortung er wahrnimmt.» Bei der schulmedizinischen Krebsbehandlung würden die Symptome des Krebses entfernt, nicht der Ursprung der Krankheit. Auch Ärzte und Psychotherapeuten würden «oft genug an ihre Grenzen stossen».
«Als Schamane helfe ich Klienten, Selbstheilungskräfte zu aktivieren»
Roger Mattle, Gossau SG
«Während vieler Jahre war ich als Bereichs- und Unternehmensleiter tätig – bis meine Frau an Krebs erkrankte. Ich begann mich zu fragen, wie wichtig die Karriere ist, wenn die persönliche Welt zusammenbricht. Ein Medium sagte mir, es sei an der Zeit, die Menschen als Schamane zu begleiten. Nach dem Tod meiner Frau absolvierte ich diese Ausbildung. Ich zeige den Menschen, wie sie ihre Selbstheilungskräfte aktivieren und zu Gesundheit und Harmonie finden können.»
Erika-Akire Shirma Lengacher, Hünenberg ZG
«In der Kindheit erfuhr ich von der geistigen Welt, dass ich eine Ayahuasca-Schamanin sei. Mit 40 Jahren durfte ich erstmals Ayahuasca trinken. Dieses Getränk aus Südamerika verursacht einen angenehmen Rausch und hat meinem Leben endlich einen Sinn gegeben. Ich trinke es, um mehr über mich herauszufinden und um meine Klienten auf ihrem Weg zu unterstützen. Die Heilung der Klienten liegt aber nicht in meinen Händen – ich bin nur ein Werkzeug Gottes.»
Jakob Oertli, Windisch AG
«Vor über 20 Jahren spürte ich beim Steinkreis von Stonehenge eine rätselhafte Empfindung. Das Erlebnis zeigte mir: Die wissenschaftliche Denkweise ist nicht die einzige. Meine Kunden sollen eigene Wege zur Heilung finden. Schamanische Reisen helfen, Probleme aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Drei Tage pro Woche arbeite ich bei den SBB im Bereich Lärmbekämpfung. Die Bodenhaftung, die mir diese Arbeit gibt, kommt meinen Praxiskunden zugute.»
Karin A. Wehrhahn, Turbenthal ZH
«Über eine Grossmutter stamme ich von chilenischen Ureinwohnern ab. Mindestens einmal pro Jahr reise ich nach Peru. Ich konnte dort starke Verbindungen zu spirituellen Orten aufbauen. Bei meiner Arbeit bekämpfe ich Krankheiten nicht auf der körperlichen Ebene, sondern suche die Quelle des Übels. Oft leiden Klienten an Beschwerden, weil ihr Energiekörper wegen traumatischen Erlebnissen verunreinigt ist. Ich helfe den Klienten, ihre Selbstheilungskräfte anzukurbeln.»
Philipp Kupferschmid, Basel
«Schon als Kind konnte ich Kontakte zur geistigen Welt herstellen. Beim Besuch eines Tierkommunikations-Kurses zeigte sich mein persönliches Krafttier, ein weisses Pferd. Es führte mich auf meinen schamanischen Weg. Neun Monate lang durfte ich den Schamanismus bei Ureinwohnern in Australien und Neuseeland erleben. Im heiligen Tal der Inkas wurde ich in Heilarbeit geschult. Mit Hilfe meines Kristallschädels Wa-Na-Ki harmonisiere ich die Aura von Menschen, Tieren und Pflanzen.»
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