Nach einem stressigen Arbeitstag an der Rezeption im Hotel wachte Miriam Albisser am nächsten Morgen fast immer mit starken Kopfschmerzen auf. Häufig führten sie sogar zu einer Migräne. Für die 42-Jährige war das belastend: «Ich wollte nicht jeden zweiten Tag Schmerztabletten schlucken.»
Sie ging zum Hausarzt, um die Ursache der Schmerzen herauszufinden. «Er vermutete, dass ich nachts mit den Zähnen knirsche und schickte mich zum Zahnarzt», erzählt sie. Mit seiner Einschätzung lag der Arzt richtig. Der Zahnarzt stellte fest, dass ihre Zähne stark abgeschliffen waren – eine Folge davon, wenn man mit den Zähnen knirscht.
Viele Menschen, die Stress haben, knirschen mit den Zähnen. Manchmal so stark, dass es schwere Folgen hat: Die Zähne zerbröseln und die Kiefer- und Kaumuskeln sind so verspannt, dass Betroffene an migräneartigen Kopfschmerzen, Muskelschmerzen und Ohrenschmerzen leiden. Auch ein Tinnitus kann sich einstellen. Bei einigen Patienten entzündet sich sogar das Kiefergelenk.
«Schiene bekämpft nur das Symptom»
Um die Zähne vor Schäden zu schützen, verschreiben viele Zahnärzte eine Aufbiss-Schiene. So auch bei Miriam Albisser. Solche Schienen bestehen aus Kunststoff. Man stülpt sie in der Nacht über die Zähne, damit sie nicht aneinanderreiben. So wird der Zahnschmelz nicht beschädigt und die Muskeln entspannen sich.
Doch die Schiene hat einen Nachteil. Jakob Roethlisberger, Zahnarzt aus Langnau im Emmental BE, sagt: «Damit bekämpft man nur das Symptom und nicht die Ursache.» Man hört also nicht mit dem Knirschen auf.
Zu diesem Schluss kamen auch Fachleute der unabhängigen Forschungsgemeinschaft Cochrane Collaboration. In einer Übersichtsarbeit verglichen sie zahlreiche Studien. Ihr Fazit: Die Schiene verhindert nicht, dass man nachts mit den Zähnen knirscht. Zudem ist sie teuer, sie kostet mehrere Hundert Franken. Jakob Roethlisberger empfiehlt die Schiene vor allem den Patienten, die lediglich vorübergehend mit den Zähnen knirschen. Zum Beispiel während einer stressigen Projektarbeit.
Oft liegt die Ursache für das Knirschen jedoch tiefer. Probleme in der Beziehung oder dauerhafte Überforderung am Arbeitsplatz sind zum Beispiel häufige Ursachen. In solchen Fällen sollten Betroffene lernen, besser mit Stress umzugehen. Denn dann hört meistens auch das Knirschen auf. Das gelingt am besten mit der Hilfe eines Psychotherapeuten. Der Zahnarzt Peter Zuber aus Winterthur ZH sagt: «Eine Psychotherapie empfehle ich diesen Betroffenen oft bereits bei der ersten Konsultation.»
Allerdings ist das nicht jedermanns Sache. Eine Psychotherapie dauert manchmal mehrere Jahre und man muss sich intensiv mit sich selber auseinandersetzen. Zuber weiss aus Erfahrung: «Viele Menschen können sich dafür nicht motivieren.»
Wem eine Therapie zu weit geht, kann es auch mit Entspannungsübungen versuchen. Bei der progressiven Muskelentspannung zum Beispiel lernen Betroffene, einzelne Muskeln gezielt anzuspannen und wieder zu entspannen. Der Vorteil: Man kann es zu Hause selber machen, Übungsvideos finden sich im Internet.
Zuber sagt: «Alles, was Körper und Geist entspannt, verhindert, dass man mit den Zähnen knirscht.» Einigen Menschen helfe ein warmes Bad oder ein Spaziergang am Abend.
Medikamente haben starke Nebenwirkungen
Einige Ärzte verschreiben auch Physiotherapie. Dabei lösen die Therapeuten von Hand die verkrampften Kaumuskeln. Zusätzlich lernen die Patienten Übungen, mit denen sie den Kiefer selbständig entlasten können. Zuber sagt: «Das empfehle ich, wenn jemand starke Schmerzen in der Kiefermuskulatur hat.» Doch wie die Schiene löst auch die Physiotherapie die Ursache des Knirschens nicht.
Auf Medikamente, die beruhigen, etwa Antidepressiva oder Benzodiazepine, sollte man verzichten. Sie entspannen zwar die Muskeln, doch sie haben starke Nebenwirkungen und machen schnell abhängig. Zahnarzt Jakob Roethlisberger sagt: «Ich verschreibe sie nie.» Eine Untersuchung der Cochrane Collaboration zeigte zudem: Betroffene knirschen nach der Einnahme entspannender Medikamente ebenso oft mit den Zähnen wie ohne solche Mittel.
Auch Botox soll helfen, die Muskelaktivität zu verringern. Es wird direkt in den Kaumuskel gespritzt. Dadurch soll er weicher werden und an Kraft verlieren. Doch Botox ist giftig und man riskiert, dass es den Muskel ganz lähmt. Auch Roethlisberger rät davon ab: «Ich halte das für völlig unangebracht.»
Miriam Albisser braucht ihre Aufbiss-Schiene heute nicht mehr. Sie benützte den Überzug während drei Jahren jede Nacht und die Kopfschmerzen verschwanden schon nach kurzer Zeit. Irgendwann hörte das Knirschen sogar ganz auf. «Ich weiss nicht, ob das nur an der Schiene lag», sagt sie. Denn damals wurde sie schwanger. «Das hat mein Leben natürlich völlig verändert. Ich hatte zwar immer noch Stress, aber er hatte eine schöne Ursache.»