Bald soll in der Schweiz ein neues Medikament auf den Markt kommen: Casgevy gegen eine schwere Blutkrankheit. Es soll gegen die Krankheit Sichelzellanämie helfen. Als erstes Medikament überhaupt basiert es auf der Genschere Crispr: Im Labor schneidet man ein defektes Gen aus dem Blut des Patienten und aktiviert gesunde Stammzellen. Das genetisch veränderte Blut bekommt der Patient über eine Infusion zurück. Mit Kosten von 2,2 Millionen Franken pro Therapie und Patient ist Casgevy eines der teuersten Medikamente.
Neun von zehn Patienten können zumindest kurzfristig von der Therapie profitieren, wie kleine Studien zeigten. Die Arzneimittelbehörde Swissmedic prüft zurzeit das Zulassungsgesuch.
«Diese Therapie ist in der Schweiz überflüssig»
Nur: Die Sichelzellanämie kommt in der Schweiz nahezu nicht vor. Sie stammt aus Afrika. Betroffene haben ein defektes Gen. Die roten Blutkörperchen verformen sich zu Sicheln und verklumpen. Deshalb haben Patienten starke Schmerzen und Organschäden. Der Vorteil der Krankheit: Die meisten Betroffenen sind damit vor Malaria geschützt. Bei Fachleuten stösst die Einführung von Casgevy auf viel Kritik. Für Gesundheitstipp-Arzt Thomas Walser steht fest: «Diese Therapie ist in der Schweiz überflüssig.»
Gegen Sichelzellanämie gebe es bewährte und viel günstigere Therapien: Schmerzmittel wie Paracetamol oder Tramadol, Bluttransfusionen oder in schweren Fällen eine Chemotherapie mit dem Wirkstoff Hydroxycarbamid. Er bremst das Wachstum schädlicher Blutzellen. 100 Kapseln kosten lediglich 80 Franken. 2019 zeigte eine Studie, dass die Chemotherapie neun von zehn Kindern in Ländern südlich der Sahara hilft. Sie hatten danach weniger Schmerzen und Infektionen.
Solche Mittel helfen so gut, dass viele Patienten im Alltag kaum beeinträchtigt sind. So steht es in medizinischen Leitlinien. In schweren Fällen hilft die Transplantation von Stammzellen. Mit etwa 200'000 Franken ist sie zwar ebenfalls teuer. Das ist aber immer noch ein Bruchteil der Kosten für Casgevy.
Zulassung des Medikamentes nur in reichen Ländern beantragt
Vertex stellte den Zulassungsantrag für Casgevy in nur wenigen Ländern: in der Schweiz, in den USA, in Europa, Grossbritannien, Saudi-Arabien und in Bahrain. Dabei handelt es sich um Länder, in denen die Krankheit kaum vorkommt, deren Gesundheitsbehörden und Krankenkassen aber über das nötige Geld verfügen, um die horrenden Kosten zu tragen.
Auf dieses Geld ist der Hersteller Vertex aus. Im Jahresbericht 2023 des Unternehmens heisst es: «Der Verkauf unserer Produkte hängt in hohem Masse davon ab, wie weit unsere Produkte von Regierungen oder Versicherungen erstattet werden.» 75 Prozent der Patienten mit Sichelzellanämie leben in afrikanischen Ländern wie Nigeria, Benin oder Guinea. Doch dort will Vertex das Mittel nicht verkaufen. Der Hersteller erlaubt auch keiner Firma vor Ort, das Medikament zu produzieren.
Weder Regierung noch Versicherungen in den genannten Ländern sind in der Lage, zu bezahlen. Zudem fehlt meist die medizinische Infrastruktur. Diese ist jedoch nötig, weil man die Patienten mit einer Chemotherapie auf die Infusion vorbereiten muss und weil sie danach längere Zeit im Spital bleiben müssen. Es braucht auch spezielle Labors, in denen man das Blut genetisch verändert.
Betroffene hoffen auf Behandlung in Europa
Die Zeitung «New York Times» berichtete vor kurzem über eine Mutter von zwei betroffenen Kindern. Die Familie lebt in Tansania. Im Internet erfuhr die Mutter von der neuen Therapie und tauschte sich mit anderen Eltern darüber aus – bis sie erfuhr, wie viel das Mittel kostet. «Das kann sich hier niemand leisten», sagte die Frau der «New York Times». Die einzige Hoffnung von Betroffenen ist eine Behandlung in Europa.
Tatsächlich hat die Zahl von Patienten mit genetischen Blutkrankheiten in der Schweiz in den letzten Jahren zugenommen. Grund dafür sei die Migration, hält das Schweizerische Gesundheitsobservatorium in einem Bericht fest. Der Verein Suisse Drépano vermutet, dass es in der Schweiz etwa 500 Betroffene gibt.
Herstellerfirma rechtfertigt hohen Preis
Vertex schreibt dem Gesundheitstipp, der Preis von 2,2 Millionen Franken für Casgevy entspreche «dem Wert der Therapie für Patienten, ihre Familien, das Gesundheitssystem und die Gesellschaft». Das Herstellen und Anwenden des Medikamentes erfordere eine gute Infrastruktur, qualifizierte Zentren und eine aufwendige Versandlogistik. «Wir sind deshalb nicht in der Lage, die Therapie in einigen Ländern sicher anzubieten.»
Horrend teure Medikamente: Pharmaindustrie erzielt Milliardenprofite
Das Medikament Casgevy gegen die Sichelzellanämie ist ein Beispiel dafür, dass die Produkte der Pharmaindustrie immer teurer werden. Schlagzeilen machte vor drei Jahren das Medikament Zolgensma gegen eine schwere Muskelkrankheit, die spinale Muskelatrophie. Von der Erbkrankheit ist 1 von 10'000 Personen betroffen. Eine Infusion kostet 2 Millionen Franken (Gesundheitstipp 12/2021). Hersteller erzielen mit solchen Medikamenten gegen seltene Krankheiten Milliardenprofite (Gesundheitstipp 1/2024).
Das Bundesamt für Gesundheit spricht in diesem Zusammenhang von «sehr hohen Preisforderungen» der Pharmafirmen. Laut Bundesamt haben die Kosten für Medikamente seit 2015 um 30 Prozent zugenommen. Im Vergleich zu anderen medizinischen Behandlungen sei der Ansteig viel markanter. Dazu tragen neben Mitteln gegen seltene Krankheiten auch Krebsmedikamente und Immunsuppressiva bei.