Milch sei ein «hervorragender Eiweisslieferant» und die «beste Quelle für Kalzium und Vitamin D». Das behauptet der Produzentenverband Swissmilk. Deshalb solle man im Menüplan täglich drei Portionen Milch und Milchprodukte einschliessen. Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung bläst ins gleiche Horn: Sie sagt, drei Portionen würden den täglichen Kalziumbedarf decken.
Doch die Zweifel mehren sich, ob Milch wirklich so gesund ist. Der Basler Arzt und Ernährungswissenschafter Ulrich Keller sagt: «Die Empfehlung, dreimal pro Tag Milch zu trinken, um die Knochengesundheit von Erwachsenen zu verbessern, wird durch die wissenschaftlichen Daten nicht gestützt.»
Mehr Knochenbrüche bei fleissigen Milchtrinkern
Eine Übersichtsstudie der Forscherin Heike Bischoff-Ferrari von der Universität Zürich zeigte, dass ältere Menschen nicht weniger Knochenbrüche haben, wenn sie viel Milch trinken. Und schwedische Forscher schrieben im Fachblatt «British Medical Journal», dass fleissige Milchtrinker sogar öfter Knochenbrüche erleiden. Die Forscher hatten vor drei Jahren rund 100000 Frauen und Männer im Alter von 40 bis 80 Jahren untersucht. Laut den Forschern ein möglicher Grund für die schlechtere Knochengesundheit: ein Baustein des Milchzuckers. Er ruft Entzündungen hervor, die den Knochen schaden. Dies zeigten Tierversuche.
Der Körper kann Kalzium nur aufnehmen, wenn er gut mit Vitamin D versorgt wird. Doch Milch liefert wenig: 1 Deziliter Vollmilch enthält nur 0,09 Mikrogramm Vitamin D. Um den Tagesbedarf zu decken, müsste man rund 20 Liter trinken.
Der amerikanische Ernährungswissenschafter David S. Ludwig schreibt in der Fachzeitschrift «Jama Pediatrics», den Kalziumbedarf könne man aus anderen Quellen decken. Auch Broccoli, Hülsenfrüchte, Nüsse, Sesamsamen und Mineralwasser enthalten Kalzium. Wer sich ausgewogen ernähre, sei nicht auf Milch angewiesen – unter Umständen schade sie mehr als dass sie nütze, so Ludwig.
Kritik kommt auch von Krebsärzten: Das Forschernetzwerk World Cancer Research Fund warnt, ein hoher Milchkonsum vergrössere das Risiko für Prostatakrebs. Hautarzt Bodo Melnik von der Uni Osnabrück (D) vermutet, dass Milch Wachstumshormone im Körper fördert. Das sei für Kinder gut, könne aber bei Erwachsenen Zivilisationskrankheiten wie Arterienverkalkung oder Akne begünstigen. Ein Vergleich der University of Applied Sciences in Frankfurt (D) bestätigt: In Ländern wie Südkorea und Thailand, wo man wenig Milch trinkt, sterben viel weniger Menschen an Prostata- und Eierstockkrebs als in der Schweiz.
Deshalb sagt Ernährungsberaterin Sybille Binder vom Institut für integrative Naturheilkunde in Zürich: «Die Aussage, dass Milch grundsätzlich ein gesundes Nahrungsmittel für alle ist, stimmt nicht mehr.» Für manche Leute sei Milch eher ungeeignet und täglich mehrere Portionen für die meisten zu viel, so Binder. Und Ärztin Yvonne Gilli aus Wil SG sagt: Massvoll genossen, könne Milch Teil einer ausgewogenen Ernährung sein. Wer aber Milchzucker nicht vertrage und deshalb auf Milch verzichte, hätte dadurch keine Nachteile.
Zur Kritik der Fachleute entgegnet Swissmilk, die Studie aus Schweden beweise nicht, dass Milch die Ursache der vermehrten Knochenbrüche sei. Andere Forscher hätten dafür keine Hinweise gefunden, jedoch eine positive Wirkung für die Knochengesundheit. Milch vermindere das Risiko für Brust- und Dickdarmkrebs. Swissmilk sieht keinen Grund, von der Empfehlung, drei Portionen täglich zu konsumieren, abzuweichen. Man müsse vergleichsweise wenig Milch zu sich nehmen, um genügend Kalzium aufzunehmen. Swissmilk will jedoch die Aussagen zu Vitamin D überarbeiten.
Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung sagt, die überwiegende Zahl der Studien zeige einen positiven Einfluss der Milch auf die Knochen. Studien hätten ergeben, dass nur bei sehr hohem Milchkonsum das Prostatakrebsrisiko steige.
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