Die Diabetespille Metformin reguliert nicht nur den Blutzucker, sondern kann Erwachsenen zusätzlich helfen, das Übergewicht zu reduzieren. Die Pille ist deshalb bei übergewichtigen Diabetes-Patienten oftmals erste Wahl. Kein Wunder, denken Kinderärzte daran, die Pille auch übergewichtigen Kindern zu verschreiben. Denn bei ihnen kann sich ebenfalls ein Diabetes bilden.
Doch die Pille – in der Schweiz auch unter dem Namen Glucophage erhältlich – bringt ihnen keinen Vorteil. Zu diesem Schluss kam kürzlich der Münchner Herzspezialist Richard Eyermann. Der Einsatz von Metformin sei «problematisch», der Nutzen bescheiden. Jedes vierte Kind leide an Nebenwirkungen im Magen und im Darm.
Letztes Jahr kam eine US-Studie zu einem ähnlichen Schluss. Die Autoren hatten 14 Untersuchungen mit insgesamt gegen 1000 stark übergewichtigen Kindern und Jugendlichen ausgewertet. Alle Studienteilnehmer mussten die Ernährung umstellen und sich vermehrt bewegen. Die eine Gruppe erhielt zusätzlich Metformin.
Doch das Medikament bewirkte, dass die Kinder und Jugendlichen nur geringfügig an Gewicht verloren. Dagmar l'Allemand-Jander vom Ostschweizer Kinderspital in St. Gallen hatte vor vier Jahren zusammen mit der Berliner Charité die Wirkung von Metformin bei Kindern untersucht. Sie kam gar zum Schluss: «Die Wirkung ist nicht besser als bei einem Placebo.»
«Pillen sind ein falsches Signal»
Der Einsatz von Medikamenten bei Diabetes ist bereits bei Erwachsenen oft umstritten. Mit Bewegung und einer ausgewogenen Ernährung können viele Patienten ebenso gut an Gewicht verlieren und so den Blutzucker in den Griff bekommen.
Kein Wunder, stehen Diabetesmedikamente bei übergewichtigen Kindern noch mehr in der Kritik. Für Bettina Isenschmid, Präsidentin des Schweizer Fachverbands «Adipositas im Kindes- und Jugendalter», sind die Pillen ein falsches Signal. Ein Viertel bis ein Drittel der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen habe psychische Störungen wie Aufmerksamkeitsdefizite oder Depressionen. Viele von ihnen würden versuchen, so Isenschmid, die Probleme mit dem Essen hinunterzuschlucken. Auch Dagmar l'Allemand-Jander sagt: «Sie können ihre Essimpulse nicht gut steuern.» Diese Probleme müsste man zuerst behandeln. Dagegen können die Pillen nicht helfen.
Kinderärzte bestreiten, Kindern Diabetespillen zum Abnehmen zu verschreiben. Kinderarzt Udo Meinhardt vom Pädiatrisch-Endokrinologischen Zentrum Zürich sagt, das sei «nicht sinnvoll»: «Nutzen und Nebenwirkungen stehen in keinem Verhältnis.» Er räumt allerdings ein, Kindern über 10 Jahren Metformin zu verschreiben, wenn sie Diabetes haben oder das Insulin nicht mehr gut wirke. Dafür haben die Behörden Metformin auch zugelassen. Ähnlich argumentieren das Universitäts-Kinderspital beider Basel und andere angefragte Kinderärzte.
Merck, Herstellerin von Glucophage, wollte sich nicht dazu äussern, ob das Mittel übergewichtigen Kindern beim Abspecken helfe. Dafür sei das Medikament nicht zugelassen. Es sei im Ermessen des Arztes, ob er ein Kind damit behandeln wolle.