Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (SGE) will die Bevölkerung über gesundes Essen informieren. Dafür erhielt sie im letzten Jahr über 300000 Franken vom Bund – und damit von den Steuerzahlern. Seit kurzem veröffentlicht die Gesellschaft auf ihrer Website eine kostenlose Rezeptsammlung zum Herunterladen. Der Stil der Menüs ist meist traditionell schweizerisch mit viel Fleisch und Wurst – zum Beispiel Gehacktes, Kalbsplätzli, Geschnetzeltes oder Waadtländer Saucisson. Denn 30 Fleischgerichten stehen gerade mal sechs vegetarische Menüs gegenüber.
Fachleute sind irritert. Ruth Ellenberger vom Zürcher Ernährungszentrum sagt: «Die Rezepte sind viel zu fleischlastig.» Damit sende die SGE ein «sehr unglückliches Signal» aus. Ernährungsberaterin Béatrice Chiari aus Zürich ergänzt: «Die Rezeptsammlung erweckt den Eindruck, man müsse hauptsächlich Fleischmenüs essen, um sich ausgewogen zu ernähren.» Für Chiari ist klar: «Die meisten der Fleischgerichte würde ich meinen Klienten nicht empfehlen.» Es sei bekannt, dass so viel Fleisch Entzündungen fördere.
«Gefahr eines Interessenkonflikts»
Die Rezepte sind kein Zufall: Die SGE hat sie zusammen mit Proviande erarbeitet, der Branchenorganisation der Fleischwirtschaft. Für diese Zusammenarbeit zahlt Proviande. Im Jahresbericht der Gesellschaft für Ernährung wird Proviande als «Gönnermitglied» der teuersten Kategorie erwähnt. Diese Mitglieder zahlen pro Jahr 10000 Franken und erhalten als Gegenleistung «projektbezogene Kooperationen».
Fachleute kritisieren das Sponsern der SGE durch die Lebensmittelbranche. Laura Lombardini ist Geschäftsleiterin der Veganen Gesellschaft Schweiz und wirft der SGE vor, sie lasse sich vom Fleischverband instrumentalisieren. Reto Frei, Mitgründer der Tibits-Restaurants, ist «erstaunt, dass die SGE die Rezepte zusammen mit Proviande erstellt hat». Durch die Kooperation könnten Interessenkonflikte entstehen. Der deutsche Ernährungsexperte und Buchautor Hans-Ulrich Grimm sagt: «Es ist nicht im Sinn der Konsumenten, wenn die Lebensmittelwirtschaft bestimmt, was wir essen sollen, und dann auch noch die Rezepte serviert.»
Sponsoren: Von Nestlé bis zur Pharmafirma
Proviande ist nur eine von rund 30 Branchenorganisationen und Unternehmen, die zu den Sponsoren gehören. In den vergangenen Jahren hat die Verbandelung der SGE mit der Lebensmittelindustrie immer wieder Kritik hervorgerufen: Die SGE verschickte zum Beispiel eine Werbebroschüre für künstliche Süssstoffe. Finanziert wurde sie von Coca-Cola (Gesundheitstipp 9/2013). Mehrmals durfte Nestlé bei SGE-Fachtagungen Ernährungspreise verleihen. Zusammen mit dem Pharmariesen Bayer machte die Gesellschaft für Ernährung auch Werbung für einen Vitamintest. Und sie unterstützte eine Kampagne des Mineralwasserkonzerns Evian-Volvic (Gesundheitstipp 11/2018).
Ernährungsfachmann Patrick Zbinden aus Oberrieden ZH sagt, es sei «äusserst stossend», dass sich die SGE für solche Werbeaktionen einspannen lasse. Die SGE ist allerdings kein Einzelfall. Hans-Ulrich Grimm kritisiert: «Es ist ein grosses Übel, dass die Industrielobby die Ernährungsgesellschaften dominiert.» Letzten Herbst besuchte Grimm eine Konferenz der europäischen Ernährungsgesellschaften in Dublin (Irland). Dort sei die Industrielobby «omnipräsent» gewesen.
Thomas Krienbühl ist Sprecher der Gesellschaft für Ernährung und betont, man erhalte keine fixen Jahresbeiträge vom Bund. Die SGE erfülle auch Aufgaben, die nicht in die Zuständigkeit der Bundesämter fallen. Deshalb sei die Gesellschaft auf die Beiträge der Gönnermitglieder angewiesen. Diese würden jedoch nur 12 Prozent der gesamten Einnahmen ausmachen. Die Gesellschaft verwende das Geld, um unabhängige Informationen aufzubereiten. Die Gönner hätten keinen Einfluss auf die Publikationen.
Krienbühl sagt, die SGE wolle mit den Rezepten, die zusammen mit Proviande entstanden, zeigen, dass man auch bekannte und einfache Gerichte ausgewogen zubereiten könne. Und aktuell erarbeite die Gesellschaft vegane Rezepte, zusammen mit Swissveg, dem Verband für Vegetarier und Veganer.
Tipp: So bereiten Sie ausgewogene und gesunde Mahlzeiten zu
Füllen Sie die Hälfte des Tellers mit Salat oder Gemüse sowie je einen Viertel mit Stärkebeilagen und eiweissreichen Nahrungsmitteln.
Essen Sie nicht mehr als 300 bis 600 Gramm Fleisch pro Woche.
Gesunde Eiweissquellen sind Milchprodukte, Eier, Hülsenfrüchte und Tofu.
Trinken Sie täglich 1 bis 2 Liter ungesüsste Getränke. Verzichten Sie auf Getränke, die viel Zucker enthalten.
Rund 800 kreative und leichte Rezepte können Sie kostenlos herunterladen unter www.gesundheitstipp.ch [ Service [ Merkblätter [ im Suchfeld «Rezepte» eingeben.
Buchtipp
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