Die 80-jährige Eveline Zimmerli aus Zürich hat eher schlechte Erinnerungen an die Wechseljahre – nicht nur wegen der Hormone, die in dieser Zeit verrückt spielten, sondern auch wegen der Lebensumstände. «Meine Familie war im Umbruch, ich ging eine Beziehung zu einem anderen Mann ein.» Bei der Arbeit wurde sie schneller müde. «Ich empfand das Leben als strenger.»
Fachleute bestätigen: In den Wechseljahren kämpfen Frauen nicht nur mit körperlichen Beschwerden wegen der Hormone, sondern auch mit seelischen. Gesundheitstipp-Arzt Thomas Walser: «Nur gerade Hitzewallungen und Schweissausbrüche sind mit den veränderten Hormonen verknüpft.» Das belegt auch eine Studie, die 2017 im «Journal of Psychosomatic Obstetrics and Gynecology» erschien. Die Forscher untersuchten 2000 Frauen und konnten nur diese beiden Symptome den Hormonen zuschreiben.
Die meisten Probleme, so Walser, hätten damit zu tun, dass in den Wechseljahren das Leben aus den Fugen gerät: «Viele der Beschwerden haben mit der Lebenssituation und seelischen Belastungen zu tun.» Die Psychologin Jessica Grub vom Psychologischen Institut der Universität Zürich hat mit ihren Kollegen letztes Jahr mehr als 100 Frauen in den Wechseljahren befragt. Die im Fachblatt «Menopause» 2021 veröffentlichte Studie zeigt: Ein geringes Selbstwertgefühl, ein negatives Körperbild oder chronischer Stress begünstigen depressive Verstimmungen in dieser Zeit.
Eine Ursache: Die Frau verliert ihre Fruchtbarkeit und damit einen Teil ihrer Weiblichkeit. Thomas Walser sagt: «Die Menopause schockiert Frauen, die ihr Alter verdrängt haben.» Wallungen oder Schweissausbrüche können dazu führen, dass sich die Frau weniger begehrenswert fühlt. Das stürze viele Frauen in eine Krise. «Diese Entwicklung ist umso traumatischer, je mehr sich die Frau auf ihre weibliche Rolle verlassen hat.»
Hinzu kommt: In dieser Zeit ziehen oft auch die Kinder aus und brauchen ihre Mutter nicht mehr so stark. Jessica Grub: «Damit verliert die Frau eine wichtige Funktion in der Familie. Das kann eine Krise des Selbstbildes auslösen.»
Verhalten der Frau ist oft unangenehm für Partner
Auch in der Partnerschaft kann es in dieser Zeit rumoren. Walser sagt: «Frauen in den Wechseljahren sind oft unangepasst, wild und unangenehm für den Partner.» Sie würden ein Verhalten zeigen, das vergleichbar sei mit jenem Pubertierender. «Die Frau steht manchmal neben sich und versteht sich selbst nicht.» Walser spricht von einer Midlife-Crisis der Frau. Psychologin Grub: «Dieses Neufinden kann zu Problemen in der Partnerschaft führen. In manchen Fällen kommt es deshalb sogar zu einer Trennung.» Das zeigen auch die Zahlen des Bundesamts für Statistik: Frauen lassen sich bis zum Alter von 52 Jahren am häufigsten scheiden.
Oder viele erkennen, dass sie den Beruf vernachlässigt haben. Walser: «Die Frauen schauen auf ihr Leben zurück und überlegen sich, was sie noch erreichen möchten. Auch das kann zu einer Krise führen.»
Allerdings kann die Menopause auch Kraft und Energie verleihen. Viele Frauen merken: Sie können ihre sexuellen Bedürfnisse besser ausleben, weil sie nicht mehr schwanger werden. Und sie nutzen das als Chance. Das zeigt auch eine Strassenumfrage des Gesundheitstipp. Die 64-jährige Elfie Strasser aus Zürich berichtet: «Mein Sexleben ist so gut wie nie, denn ich muss keine Angst mehr haben, schwanger zu werden.» Ihr Freund ist 20 Jahre jünger. «Die Wechseljahre waren für mich eine Befreiung.»
Einige leiden, andere blühen auf
Die Churer Psychotherapeutin Christina Casanova sagt: «Manche Frauen leiden, manche gewinnen an Lust und Lebensfreude. Es ist individuell, es gibt kein Muster.» Zu letzteren gehört die Zürcher Texterin und Mutter Sabin Dermon. Sie erlebte mit dem Beginn der Wechseljahre eine ganz neue Gelassenheit. Im «Mamablog» des «Tages-Anzeigers» schreibt sie: «Ich erlebe dieses Stadium gerade als wundervolle Zeit des Ankommens. Und zwar bei mir selbst.» Sie fühle sich geerdet und stabil und erlebe eine nie da gewesene innere Gelassenheit dem Leben gegenüber.
Zu mehr Ausgeglichenheit rät auch Walser. Verschiedene Massnahmen können dabei helfen. Gegen Verstimmungen oder Unruhe sei etwa Bewegung an der frischen Luft gut, zum Beispiel lange Spaziergänge oder Wanderungen. Auch Yoga, autogenes Training oder Tai-Chi können seelische Schwankungen ausgleichen und Betroffenen zu einem guten Körpergefühl verhelfen. Ähnliches bewirken Wechselduschen, kalte Güsse, Wassertreten und Wechselfussbäder. Die 56-jährige Yvonne Schnetzer aus Zürich sagt: «Ich kneippe regelmässig. Das tut mir gut.»
Auch eine ausgewogene Ernährung mit Nüssen, Hülsenfrüchten, viel Gemüse, Obst oder Fisch trägt zum seelischen Wohlbefinden bei. Nur eines, so Walser, helfe sicher nicht, solche Lebenskrisen zu bewältigen: Hormone.
Infos:Dr-walser.ch/menopause/
Strassenumfrage: Wie ging es Ihnen während der Wechseljahre?
Eveline Zimmerli, 80, Zürich
«Die Wechseljahre waren für mich eine schlimme Zeit. Denn meine Familie war im Umbruch: Ich ging eine neue Beziehung zu einem anderen Mann ein. Bei der Arbeit wurde ich in dieser Zeit schneller müde. Deshalb empfand ich das Leben als strenger.»
Elfie Strasser, 64, Zürich
«Ein Jahr lang war es unangenehm. Doch seither bin ich so entspannt wie nie zuvor. Ich ziehe an, was ich schön finde – ich muss nicht mehr anderen gefallen. Es ist mir egal, was sie über mich denken könnten. Ausserdem ist mein Sexleben so gut wie noch nie, denn ich muss keine Angst mehr haben, schwanger zu werden. Die Beziehung zu meinem Sohn wurde viel lockerer und schöner. Die Wechseljahre waren für mich eine Befreiung.»
Christine Burkhard, 67, Zürich
«Als ich in die Wechseljahre kam, wollte meine Ärztin mir sofort Hormone verschreiben. Das kam für mich aber nicht infrage, denn ich fühlte mich wohl. In meinem Leben gab es in dieser Phase keine grossen Änderungen. Diese Stabilität half mir wahrscheinlich auch.»
Yvonne Schnetzer, 56, Zürich
«Ich schätze es, wieder mehr Freiheiten zu haben. Ich muss nicht mehr nach Hause eilen, um zu kochen, sondern kann auch mal spontan etwas unternehmen oder gemeinsam mit meinem Mann einen Ausflug machen. Manchmal ist mir nachts etwas wärmer als gewöhnlich. Dann stehe ich auf und wasche meinen Körper mit einem kühlen Lappen. Ich kneippe ausserdem regelmässig. Das tut mir gut.»
Aufruf: Wie ging es Ihrer Seele in den Wechseljahren?
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