Für Beat Meichtry war es die Hölle, wenn er in der Schule einen Vortrag halten musste: Seine Hände waren schweissnass, der Puls raste – und wenn er sprechen wollte, blieben ihm die Worte im Hals stecken. Beat Meichtry stottert. Und zwar seit er sich erinnern kann. Wenn er nervös, wütend oder traurig war, war es besonders schlimm: «Nur schon meinen Namen zu sagen, war eine Tortur.» Aus Beat wurde Be... Be... Be... Beat.
Meichtry besuchte als Kind zwar eine Sprachheilschule und übte, flüssig zu sprechen. Doch es gelang ihm nicht, das Gelernte im Alltag anzuwenden. Er zog sich immer mehr zurück, auch weil andere Kinder ihn oft auslachten oder über ihn tuschelten. «In Gruppen sprach ich nur noch selten und in der Pubertät ein Mädchen anzusprechen, das mir gefiel, getraute ich mich schon gar nicht», erinnert sich der heute 62-Jährige. Im Alltag entwickelte er Strategien, um das Sprechen zu umgehen. «Wenn ich am Schalter ein Billett lösen musste, hatte ich einen Zettel dabei auf dem zum Beispiel ‹Genf retour› stand.»
Vier von fünf Kindern stottern nur kurze Zeit
Die ersten Anzeichen des Stotterns machen sich meistens im Alter von drei bis sechs Jahren bemerkbar. Weshalb ein Kind stottert, weiss man nicht genau. Früher vermutete man, dass die Ursache psychisch ist – zum Beispiel ein Trauma. Doch Studien deuten darauf hin, dass bei Betroffenen gewisse Nervenverbindungen im Sprachzentrum des Hirns schwächer ausgeprägt sind. Womöglich ist das vererbt.
Eltern sollten jedoch nicht in Panik verfallen – bei vier von fünf Kindern verschwindet das Stottern nach einiger Zeit. Wenn ein Kind länger als sechs Monate stottert und darunter leidet, ist eine Therapie trotzdem oft zu empfehlen. Denn das Kind kommt unter Druck.
Brigitte Zaugg, Logopädin aus St. Gallen und Dozentin an der Schweizerischen Hochschule für Logopädie in Rorschach SG, sagt, dass stotternde Schulkindern manchmal noch immer gemobbt werden: «Dies kann zu Angst vor dem Sprechen und zu sozialem Rückzug führen.»
Sehr gut wirkt zum Beispiel eine Sprachtherapie (siehe Tabelle im PDF). Das zeigt eine aktuelle Untersuchung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Die Fachleute haben 43 Studien zu den Ursachen und Therapien des Stotterns analysiert und daraus neue Leitlinien für Ärzte erarbeitet.
Wolfgang G. Braun, Dozent für Logopädie an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik Zürich, sagt: «Beginnt man vor dem sechsten Lebensjahr eine Sprachtherapie, lässt sich das Stottern meist erfolgreich behandeln.» In einigen Fällen verschwindet es völlig. Wenn jemand in der Pubertät noch stottert, bringt man die Redeflussstörung jedoch selten ganz weg. Das Ziel der Therapie ist dann, dass Betroffene lockerer mit ihrem Stottern umgehen und keine Angst vor dem Sprechen haben.
Mehr Selbstvertrauen dank Psychotherapie
Obwohl die Ursache nicht psychisch ist, ist manchmal auch eine Psychotherapie sinnvoll. Sie verbessert die Sprechweise zwar nicht, hilft jedoch, Ängste abzubauen und mit stressigen Situationen besser umzugehen.
Beat Meichtry machte damit gute Erfahrungen: «Ich entwickelte mehr Selbstvertrauen und getraute mich wieder, vor anderen zu sprechen.» Heute stottert er nur noch selten – etwa wenn er nervös oder unter Druck ist: «Doch es macht mir nichts mehr aus.» In der Vereinigung Versta für Stotternde und Angehörige berät Meichtry heute andere Stotterer und hilft ihnen, besser mit der Sprechstörung umzugehen.
Viele Betroffene setzen auf alternative Therapien. So kann eine spezielle Atemtechnik kurzfristig das Stottern unterdrücken. Doch langfristig könnten Atemtechniken das Stottern nicht heilen, schreibt die Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Und für Hypnose, Homöopathie oder Bachblütentherapie sei der Nutzen nicht belegt. Tipp der Fachleute: Falls eine Behandlung nach drei Monaten keine Verbesserung bringe, sollte man es mit einer anderen Therapie versuchen.