Vor zwei Jahren musste sich Renato Salvini im Spital einem grossen Eingriff unterziehen: Er bekam auf beiden Seiten neue Hüftgelenke. Abgesehen von der Physiotherapie, durfte er danach sechs Wochen lang keinen Sport treiben. Unvermeidliche Folge: «Meine Muskeln bildeten sich zurück», erzählt der 67-Jährige aus Dänikon ZH.
«Eines der grössten Gesundheitsprobleme»
Was Renato Salvini nach der Operation erlebte, betrifft viele Senioren: Ab 50 Jahren schrumpfen die Muskeln. Mediziner nennen diesen Vorgang Sarkopenie. Gemäss dem deutschen Sportarzt Ingo Froböse ist diese «eines der grössten gesundheitlichen Probleme unserer Zeit». Wenn man nichts dagegen unternimmt, wird die Muskelmasse pro Jahr um rund ein Prozent kleiner. Ab 60 Jahren beträgt der jährliche Verlust sogar rund drei Prozent. Als mögliche Gründe sehen Fachleute zu wenig Bewegung, den Abbau von Nervenzellen, einen veränderten Hormonhaushalt und ungesundes Essen. Studien zeigen, dass ab 70 Jahren jeder Zweite davon betroffen ist.
Muskelschwund hat verschiedene Nachteile: Senioren stürzen häufiger, und der Körper verbraucht weniger Kalorien. Deshalb nimmt das Risiko für Übergewicht und chronische Krankheiten wie Bluthochdruck und Diabetes zu. Doch dagegen gibt es ein wirkungsvolles Mittel: regelmässiges Krafttraining. Am besten beginnt man damit nicht erst im Pensionsalter. Eine Studie des Universitätsspitals Charité in Berlin zeigte: Wer schon in jungen Jahren regelmässig Fitness- und Kraftübungen macht, hat im Alter nur ein halb so hohes Risiko für Sarkopenie. Zudem verbessert sich die Muskelkraft. Die Forscher hatten rund 900 Leute im Alter ab 60 Jahren untersucht. Sowohl Frauen als Männer profitieren vom Training – Frauen machen es aber weniger oft, wie die Forscher im Fachblatt «Journals of Gerontology» schreiben.
Muskeln wachsen nur bei intensivem Training
Um den Muskelschwund zu stoppen, braucht es mehr als Spaziergänge und Gartenarbeit. Die Sportphysiotherapeutin Romina Ghisoni aus Uster ZH erklärt: «Das Wachstum der Muskeln erhöht man nur mit intensiven Kraftleistungen.» Ausdauertraining wie Velofahren oder Joggen tut zwar dem Herzen gut, lässt aber die Muskeln nur an den Beinen wachsen. Ghisoni sagt, viele Senioren würden vor allem die sogenannten schnellen Muskelfasern zu wenig trainieren. Diese sind wichtig für reflexartige Bewegungen. «Die Fähigkeit zu schnellen Bewegungen ist entscheidend dafür, dass man einen Sturz auffangen kann, wenn man das Gleichgewicht verliert», sagt Ghisoni. Auch Gesundheitstipp-Arzt Thomas Walser empfiehlt älteren Leuten Krafttraining. Wachsen die Muskeln, verbraucht man laut Walser mehr Kalorien – ob mit oder ohne zusätzliche Bewegung. Das schützt vor Übergewicht.
Um Krafttraining zu machen, braucht es kein teures Fitnesscenterabo. Seit seiner Hüftoperation trainiert Renato Salvini zweimal pro Woche zu Hause. «Ich habe mir im Keller eine Fitnessecke eingerichtet», erzählt er. «Dort mache ich am liebsten Übungen mit dem Körpergewicht – zum Beispiel Ausfallschritte, Kniebeugen oder Klimmzüge. Das finde ich angenehmer, als ins Fitnesscenter zu gehen.»
Der Gesundheitstipp bietet seinen Lesern mehrere Merkblätter mit Kraftübungen an, die man gut zu Hause machen kann. Mit einfachen Hilfsmitteln wie Hanteln, Kettlebells oder einem Miniband wird das Training besonders effektiv (siehe Kasten «So verhindern Sie Muskelschwund»).
Sportarzt Ingo Froböse rät, mindestens dreimal pro Woche alle grossen Muskelgruppen an Beinen, Gesäss, Rumpf und Schultern zu trainieren. Gesundheitstipp-Arzt Thomas Walser empfiehlt zudem, Übungen mit schnellen oder explosiven Bewegungen einzubauen, bei denen man etwa 20 Sekunden lang die Grenze der Leistungsfähigkeit erreicht.
«Senioren sind nicht zerbrechlich»
Auch ältere Leute können intensive Trainingseinheiten bestreiten. Die Sportphysiotherapeutin Romina Ghisoni sagt: «Viele ältere Leute sind beim Training unterbelastet. So bringt es aber zu wenig. Senioren sind nicht zerbrechlich.»
Renato Salvini führt bei seinen Kraftübungen stets drei Serien mit je zehn Wiederholungen durch. Das Training tue ihm gut, sagt er: «Meine Muskeln sind viel stärker geworden. Beim Skifahren habe ich gemerkt, dass ich wieder mehr Kraft in den Beinen habe. Und beim Biken kann ich wieder mit grösseren Gängen fahren.»
So verhindern Sie Muskelschwund
- Machen Sie mindestens zweimal pro Woche ein Krafttraining. Wählen Sie die Übungen so aus, dass Sie alle wichtigen Muskelgruppen trainieren.
- Strengen Sie sich bei einigen Trainingseinheiten so lange an, bis die Muskeln erschöpft sind. Dadurch wachsen die Muskeln am schnellsten.
- Lassen Sie sich beim Zusammenstellen des Krafttrainings von einem Fitnesscoach oder einer Physiotherapeutin beraten.
- Essen Sie genügend Eiweiss. Die Muskeln brauchen pro Tag ungefähr 0,8 Gramm Eiweiss pro Kilo Körpergewicht. Bei einem Gewicht von 70 Kilo entspricht dies ungefähr 200 Gramm Pouletbrust.
Gratis-Merkblätter: «Die Stube als Fitnessstudio», «Übungen mit dem Miniband», «Kettlebell»
Die Merkblätter lassen sich hier («Die Stube als Fitnessstudio»), hier («Übungen mit dem Miniband») und hier («Kettlebell») herunterladen.