Patienten sollen schon beizeiten Pillen gegen hohen Blutdruck schlucken. Das will die Europäische Gesellschaft für Kardiologie. Sie hat ihre Richtlinien verschärft. Die Schweizerische Hypertonie-Gesellschaft hat diese Regeln weitgehend übernommen.
So raten viele Ärzte jetzt fitten Senioren zwischen 65 und 80 Jahren bereits ab einem Blutdruckwert von 140 Medikamente zu schlucken. Das soll sie vor Herzinfarkt, Schlaganfall und Herzschwäche schützen.
Doch Fachleute zweifeln, ob das nötig ist. Der Arzt Markus Häusermann schreibt in der Fachzeitschrift «Pharmakritik»: Senioren soll man erst ab Werten von 150 behandeln, wenn sie keine Herz-Kreislauf-Krankheiten und keine weiteren Risiken wie Diabetes haben. «Ab diesem Wert ist hieb- und stichfest nachgewiesen, dass der Nutzen grösser ist als die Nebenwirkungen der Therapie.» Bei gesunden über 80-Jährigen solle man den Blutdruck sogar erst ab Werten über 160 mit Medikamenten behandeln.
Patienten sind oft müde und benommen
Das bestätigt Gesundheitstipp-Arzt Thomas Walser: «Ärzte verschreiben zu schnell Medikamente gegen hohen Blutdruck.» Bei Werten unter 150 gebe es ohne weitere Risiken keinen Grund, Massnahmen zu ergreifen.
Zudem sollte man bei Senioren den Blutdruck auch nicht zu stark senken. Denn: Je mehr Pillen die Patienten nehmen müssen, desto grösser ist das Risiko für Nebenwirkungen. Dazu gehören Husten, Kopfweh und Müdigkeit. Mehr noch: Ein zu tiefer Blutdruck führt zu Schwindel und Benommenheit.
Die 82-jährige Daniela Zellweger aus Zürich kennt das. Sie muss drei verschiedene Wirkstoffe gegen hohen Blutdruck schlucken: «Am Morgen komme ich fast nicht in Gang.» Sie ist schlapp, und die Beine fühlen sich schwer an. Ihre Blutdruckwerte seien dann oft sehr tief, so Daniela Zellweger.
Mit dem Alter verstärkt sich das Problem. Dies zeigte 2018 eine Studie der Universitäten Bern und Leiden (NL). Die Forscher untersuchten rund 600 hochbetagte Teilnehmer. Wenn Medikamente ihren Blutdruck stark senkten, bauten sie geistig schneller ab und starben auch früher. Das Gehirn werde dann zu schlecht durchblutet, vermuten die Forscher. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam 2019 eine deutsche Studie der Charité Berlin.
Herzspezialist Jochen Schuler aus Salzburg (A), Mitherausgeber der Fachzeitschrift «Arzneimittelbrief», rät, bei älteren Leuten den hohen Blutdruck mit Augenmass zu behandeln: «Wichtig ist, dass sie die Medikamente gut vertragen und regelmässig nehmen.» Sobald die Tabletten Schwindel oder Stürze verursachen, müsse der Arzt die Dosis der Blutdrucksenker verringern oder Tabletten ganz streichen.
Die Schweizerische Hypertonie-Gesellschaft bestätigt, dass der Nutzen erst bei höheren Blutdruckwerten klar nachgewiesen sei. Doch aktuelle Studien würden «ziemlich eindeutig nahelegen», dass sie schon ab einem Wert von 140 sinnvoll seien.
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