Mammografie: Ärzte informieren oft einseitig und irreführend Viel Angst für nichts
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Gesundheitstipp 3/2001
01.03.2001
Viele Frauenärzte und Chirurgen informieren einseitig und irreführend. Und sie brüsten sich mit medizinischen Erfolgen, die gar keine sind. Opfer sind Tausende von Frauen im mittleren Alter, die jedes Jahr unnötig in Angst und Panik geraten.
Urs P. Gasche upgasche@pulstipp.ch
Eine Mammografie zur Früherkennung bescherte Sonja Widmer*, 53, die schreckliche Nachricht. «Wir können einen bösartigen Knoten nicht ausschliessen», eröffnete ihr der Frauenarzt. Um ...
Viele Frauenärzte und Chirurgen informieren einseitig und irreführend. Und sie brüsten sich mit medizinischen Erfolgen, die gar keine sind. Opfer sind Tausende von Frauen im mittleren Alter, die jedes Jahr unnötig in Angst und Panik geraten.
Urs P. Gasche upgasche@pulstipp.ch
Eine Mammografie zur Früherkennung bescherte Sonja Widmer*, 53, die schreckliche Nachricht. «Wir können einen bösartigen Knoten nicht ausschliessen», eröffnete ihr der Frauenarzt. Um sicher zu sein, melde er sie im Spital für eine Gewebeentnahme an, also für eine Biopsie. Die zweifache Mutter stand bange Tage durch. Sie hatte nie wirklich geglaubt, dass dieser Krebs sie treffen würde, da ihre Mutter, ihre Grossmütter und Tanten von Brustkrebs verschont blieben. Deshalb schlug die Nachricht umso härter ein.
Doch ihre Angst war unbegründet. Bei höchstens einer von zehn Frauen im Alter von über 50, die einen «positiven» Mammografie-Befund erhalten, erhärtet sich nämlich der Verdacht, dass sich in einer Brust bösartige Zellen befinden. Alle anderen Frauen geraten umsonst in Panik. Meistens zeigen weitere Röntgenbilder, eine Ultraschall-Untersuchung oder eine operative Gewebeentnahme, dass kein Krebs vorhanden ist.
Der Frauenarzt hatte Sonja Widmer zwar korrekt darüber informiert, dass die Röntgenuntersuchung immerhin vier von fünf bösartigen Tumoren frühzeitig erkennt. Deshalb willigte die Patientin ein, jedes Jahr eine Mammografie machen zu lassen. Doch der Arzt hatte ihr verschwiegen, dass die allermeisten Röntgenbilder, die bei Frauen wie Sonja Widmer auf «Krebsverdacht» schliessen lassen, einen falschen Alarm auslösen. Die Röntgengeräte finden nur harmlose zystische Veränderungen oder kleine Verkalkungen, die in neun von zehn Fällen nichts mit Krebs zu tun haben.
Fazit: In den meisten Fällen entpuppt sich der erste Krebs-Verdacht als haltlos. Ängste und Depressionen sind unbegründet.
Eine der wenigen Frauen, bei denen sich der Mammografie-Verdacht als richtig herausstellte, ist Annemarie Loosli*. Als die Mediziner den Krebs vor sechs Jahren frühzeitig entdeckten, war sie 54 Jahre alt. Der bösartige Knoten war noch im so genannten «Frühstadium». Darauf entfernte der Chirurg einen Teil der betroffenen Brust. Nach einer Serie gezielter Bestrahlungen kam der erlösende Befund, dass die bösartigen Zellen restlos entfernt und keinerlei Ableger des Krebses, so genannte Metastasen, vorhanden sind.
In der Folge empfahl Annemarie Loosli auch ihren Freundinnen eine jährliche Frühuntersuchung. «Diesen Mammografien und den modernen Operations-Methoden verdanke ich heute mein unbeschwertes Leben», war sie überzeugt.
Doch mit grosser Wahrscheinlichkeit hat sie sich geirrt. Und zwar aus zwei Gründen:
- Von 1000 Frauen mit einem bösartigen Knoten im Frühstadium, den eine Mammografie aufdecken kann, würden - ohne eine Mammografie - 500 das ganze Leben lang nie etwas von diesem Knoten merken. Sie kämen um Operationen und Bestrahlungen herum.
- Den anderen 500 Frauen würden die bösartigen Knoten Probleme machen - allerdings meistens erst zehn bis zwanzig Jahre nach der Früherkennung. Und etwa 300 sterben tatsächlich an Krebs. Das frühe Entdecken des Knotens hat aber auf Erfolg oder Misserfolg einer Behandlung nur wenig Einfluss.
Annemarie Loosli gehört also wahrscheinlich zu den zwei Dritteln der Frauen mit einem frühzeitig entdeckten Tumor, die ohne Operation und ohne Bestrahlen ein unbeschwertes Leben hätten führen können. Entweder hätten sie nämlich nie eine Krebs-Diagnose erhalten oder auf jeden Fall eine viel längere Zeit ein unbeschwertes Leben führen können.
Fazit: Selbst wenn Mammografien tatsächlich einen bösartigen Tumor erkennen, führen sie in zwei Dritteln der Fälle zu Operationen und radioaktiven Bestrahlungen, von denen die Frauen ohne Früherkennung verschont geblieben wären. Das gilt jedenfalls für jene 90 bis 95 Prozent aller Frauen, die keine erbliche Belastung haben.
Den genauen Nutzen mit Statistiken erforschen
Dieses sorgfältige Vergleichen von Nutzen und Risiken einer Behandlung nennt man «Evidence Based Medicine». EBM ist die Medizin, die sich nicht auf die Erfahrung einzelner Ärzte stützt, sondern nach dem genauen Nutzen fragt und sich auf methodisch einwandfreie Statistiken stützt.
Die Statistiken über den Nutzen von Mammografien haben insbesondere Professorin Ingrid Mühlhauser von der Universität Hamburg und Johannes G. Schmidt, Arzt und Epidemiologe in Einsiedeln SZ, ausgewertet.
Annemarie Loosli hätte sich wahrscheinlich trotz allem operieren und bestrahlen lassen: «Die Angst, dass ich die eine von den drei Frauen mit einem bösartigen Tumor bin, bei der dieser eines Tages ausbricht und zum Tod führt, hätte mich kaum in Ruhe gelassen.»
Auch die regelmässigen Mammografien, durch welche ihre bösartigen Zellen entdeckt wurden, würde Annemarie Loosli wieder machen lassen. Ihr Frauenarzt habe ihr von einer weltweit anerkannten Untersuchung in Schweden berichtet, die bewiesen habe, dass das Früherkennen bösartiger Zellen «die Brustkrebs-Sterblichkeit um 25 Prozent gesenkt hat».
Doch wiederum hat der Frauenarzt seine Patientin mit einer statistischen Zahl grob irreführend informiert und einen falschen Eindruck vom Nutzen der Mammografien erweckt. Die Angaben ihres Frauenarztes verstand Annemarie Loosli nämlich wie viele Frauen so, dass von 1000 Frauen dank der Früherkennungs-Mammografien 250 weniger an Brustkrebs sterben.
Will der Arzt korrekt informieren, muss er das Resultat der schwedischen Untersuchung wie folgt darstellen: Von 1000 Frauen im Alter zwischen 40 und 74, die keine Vorsorge-Mammografien machen liessen, sterben 4 an Brustkrebs. Von anderen 1000 Frauen im gleichen Alter, die sich zehn Jahre lang jedes zweite Jahr einer Mammografie unterzogen, sterben 3 an Brustkrebs. Statt 4 nur 3 von 1000 - das sind die vom Arzt erwähnten 25 Prozent weniger.
Nicht diese Prozentzahl, sondern nur die absoluten Zahlen geben den Nutzen verständlich und realistisch wieder. Zudem bringt eine medizinische Behandlung nicht nur einen Nutzen, sondern setzt Patienten neuen Risiken aus (vergleiche rechts «Vor- und Nachteile von Frühuntersuchungen»). Den relativ bescheidenen Nutzen müssen Frauen mit den Risiken vergleichen.
Die meisten Krebszellen bleiben ohne Folgen
Viele Krebszellen im Körper wachsen sehr langsam und bilden keine Ableger oder Metastasen. Bei jeder vierten verstorbenen Frau findet man bei der Obduktion in den Brustdrüsen bösartige Zellen. Die meisten Frauen haben bis zu ihrem Tod nie etwas davon gemerkt.
Deshalb ist es längst nicht immer besser, solche Krebszellen möglichst früh zu diagnostizieren. Ein erst spätes Entdecken von Krebszellen hat Vorteile.
Als Nachteile der Früherkennung mit Mammografien zählt Johannes G. Schmidt folgende auf:
1. Jede vierte Frau erhält einmal innert zehn Jahren den falschen Bericht «Krebsverdacht». Erst weitere Untersuchungen entkräften dann den Verdacht.
2. Bei jeder fünften dieser Frauen entnehmen Chirurgen sogar eine Gewebeprobe, um sicher zu sein, dass es kein bösartiger Krebs ist.
3. Falls bösartige Zellen in der Brust überhaupt Metastasen bilden, tun sie dies meistens sehr früh, sodass auch eine erfolgreiche Früherkennung mit einer nachfolgenden Operation daran nichts mehr ändern kann. So «früh» erkennt eine Mammografie den Krebs nämlich nicht. Der Knoten hat im Schnitt bereits einen Durchmesser von 7 Millimetern und ist bereits 8 Jahre alt.
4. Ein frühzeitiges Entdecken von Brustkrebs macht die Frau früher krank und verkürzt ihre gesunde Lebensphase. Der frühzeitige chirurgische Eingriff und das frühzeitige Bestrahlen verlängern die Lebenserwartung aber kaum. Bis heute gibt es jedenfalls keinen Beweis dafür.
Auf einen weiteren Nachteil des Früherkennens weist Brustkrebs-Spezialistin Professor Ingrid Mühlhauser von der Universität Hamburg hin: Um während zehn Jahren einen Brustkrebs-Todesfall zu verhindern, setzen sich 999 Frauen ohne jeglichen Nutzen einer unnötigen Strahlenbelastung aus.
Die angesehene Wissenschaftszeitung «New England Journal of Medicine» verlangte schon 1998, dass Ärzte die Frauen auch über die Nachteile einer Früherkennung von Brustkrebs aufklären - bisher weitgehend vergeblich.
«Das Wort "Vorsorge" ist eine Irreführung»
«Frauen werden heute immer noch mit falschen Nutzen-Versprechen zur Teilnahme am "Vorsorge-Screening" gedrängt, ohne dass man sie auf die beträchtlichen Nachteile und den mehr als fragwürdigen Gesamtnutzen aufmerksam macht», stellt Johannes G. Schmidt fest.
Es sei eine «Irreführung», von Vorsorge zu sprechen, doppelt Professorin Ingrid Mühlhauser nach. Sie hat sich ausgiebig mit den Vor- und Nachteilen der Früherkennung befasst. Das Wort «Vorsorge» gaukle nämlich vor, dass man den Krebs verhindern könne. So wie etwa das Zähneputzen das Entstehen von Karies verhindern kann. Tatsächlich handle es sich bei den Mammografien nur um ein Früherkennen, dessen Gesamtnutzen nicht bewiesen ist.
Die Zahl der Frauen, die an Brustkrebs sterben, ist bis heute praktisch gleich geblieben. Offensichtlich hilft ihnen das Früherkennen nur wenig. Nur die Nachbehandlung mit Medikamenten kann die Sterberate vielleicht etwas senken. Das hat jedoch nichts mit dem Früherkennen zu tun.
Gemäss dem «Atlas der Krebsmortalität in der Schweiz 1970-1990» ging die Brustkrebs-Sterblichkeit im Alter von 40 bis 64 nur wenig zurück. Von den Frauen im Alter von über 85 sterben heute sogar mehr Frauen an Brustkrebs.
In Schweden und Holland, wo Ärzte schon seit langem systematisch mammografieren, ist die Brustkrebs-Sterblichkeit bis heute nicht gesunken. Dortige Wissenschaftler stellen in Frage, ob das Entfernen von Brüsten überhaupt einen merklichen Nutzen bringt.
Auch nach neusten Statistiken gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass dank des Früherkennens weniger Frauen an Brustkrebs sterben: Das spezialisierte «Nordic Cochrane Center» hat soeben die Qualität der bisherigen Mammografie-Studien unter die Lupe genommen.
Das Fazit ist ernüchternd: Es gibt bis heute keinen schlüssigen Beweis dafür, dass wegen des Früherkennens und dank der anschliessenden Operationen und Bestrahlungen tatsächlich weniger Frauen an Brustkrebs sterben.
Überdiagnose gaukelt medizinische Erfolge vor
Das Früherkennen von Krebszellen führt zu einer «Überdiagnose». Die Zahl der Brustkrebs-Erkrankungen nimmt statistisch zu. Radiologen und Ärzte diagnostizieren zuhauf Brustkrebs, der sich in Tat und Wahrheit zu Lebzeiten gar nie bemerkbar machen würde.
Die so aufgeblähte Statistik der Krebskranken gaukelt vor, dass heute mehr Frauen als früher überleben. Das wird als «Erfolg» der Chirurgie und des Bestrahlens gepriesen. Dabei würden die meisten der betroffenen Frauen von diesen sehr langsam wachsenden Krebszellen ihr ganzes Leben lang nie etwas merken. Wie bei Sonja Widmer führt die Überdiagnose bei unzähligen Patientinnen lediglich zu unnötiger Angst und Verzweiflung.
Und Ärzte lassen Frauen wie Annemarie Loosli im Glauben, dass nur das Früherkennen, die rechtzeitige Operation und das rechtzeitige Bestrahlen sie von einer schweren Krebserkrankung verschont hat. Vielleicht haben sie im Einzelfall sogar Recht - eine hohe Wahrscheinlichkeit aber spricht dagegen.
*Namen geändert
So können Sie vorbeugen
Frauen ohne familiäre Belastung mit Brustkrebs verhindern das Ausbrechen von Brustkrebs am besten mit folgendem Verhalten:
- Nicht rauchen und nur wenig Alkohol trinken.
- Wenig tierische Fette essen, dafür Sojaprodukte, Ballaststoffe, Antioxidantien (Vitamine C und E, Betakarotin) sowie Blatt-Gemüse. In Japan ist Brustkrebs vor allem wegen der gesünderen Ernährung viel weniger verbreitet.
- Dreimal pro Woche schnelles Gehen, leichtes Jogging, Schwimmen, Langlaufen oder Velofahren. Wer sich regelmässig bewegt, bekommt seltener Brustkrebs, Osteoporose und Herzkrankheiten.
- Nur schwach dosierte Verhütungspillen brauchen und keine Östrogene während und nach der Menopause einnehmen.
- Auf wenig Pestizid-Rückstände und Elektrosmog achten. Es gibt Hinweise, dass viele Frauen mit Brustkrebs erhöhte DDT- oder PCB-Rückstände in der Brust hatten. Systematische Untersuchungen machen die Universitätsspitäler nicht. Frauen, die an Telefonleitungen arbeiteten, hatten besonders häufig Brustkrebs.
- Wer lange stillt, kann das Brustkrebs-Risiko etwas reduzieren.
- Bisher gibt es keinen wissenschaftlichen Beweis dafür, dass das regelmässige Abtasten der Brüste einen Einfluss auf die Brustkrebs-Sterblichkeit hat.
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