Schlafstörungen, Migräne, nervöse Leiden. Laut «Jolie Kosmetik» in Basel hilft Lymphdrainage gegen all diese Beschwerden. Das schreibt die Kosmetikfirma auf ihrer Homepage. Und die Praxis «Wohl-Sein» in Bern schreibt der Lymphdrainage sogar «eine Vertiefung des Körperbewusstseins» zu.
Viele Kosmetikinstitute, Massagepraxen und «Wellness-Oasen» bieten die Lymphdrainage an. Doch medizinisch ausgebildete Fachleute halten nichts von solchen Heilversprechen. Anna Sonderegger, klinische Spezialistin für Lymphologie beim Verband Physioswiss, sagt: «Das ist Unsinn. Es gibt keine wissenschaftlichen Belege.»
Lymphdrainage ist Teil einer komplexen Therapie gegen Wasser im Gewebe, sogenannte Ödeme. Grund sind Schäden im Lymphsystem. Sie können nach Brustkrebsoperationen oder nach Bestrahlungen bei Krebskrankheiten auftreten. Davon betroffen ist zum Beispiel Margret Stüssi. Die 71-jährige hatte Brustkrebs. «Bei der Operation entfernten mir die Ärzte gleichzeitig 33 Lymphknoten», sagt sie. Als Folge davon schwollen der rechte Arm, die Hand und die Finger an.
Auch Sportverletzungen und Operationen können das Lymphsystem schädigen sowie angeborene Störungen des Fettstoffwechsels. Mit einer sanften Massage kommt die Lymphe wieder in Fluss. Für diese Therapie braucht es ausgebildete Fachleute.
«Lymphdrainage allein nützt nichts»
Doch die Kosmetik- und Wellnessinstitute bieten Lymphdrainage selbst bei medizinischen Problemen an, so auch Jolie Kosmetik: «Eine Lymphdrainage empfehlen wir bei Schwere- und Prallegefühl in den Beinen, bei aufgedunsenen Armen, (zum Beispiel nach einer Brustoperation) und Beinen, bei fast jeder Art von Ödemen oder bei Sportverletzungen.»
Yvette Stoel, Physiotherapeutin und klinische Spezialistin Lymphologie am Kantonsspital Winterthur, kritisiert: «Lymphdrainage alleine nützt nichts.» Sie sei nur ein Pfeiler der Behandlung bei Patienten mit Wasser im Gewebe. Therapeuten ziehen Kompressionsstrümpfe über die betroffenen Glieder oder bandagieren sie. Der Druck verhindert, dass das Wasser wieder zurückfliesst.
So macht es auch Margret Stüssi. Sie bandagiert sich jede Nacht den Arm, die Hand und die Finger. Bei Haus- und Gartenarbeiten trägt sie einen Stützstrumpf. Stüssi: «Meine Therapeutin hat mir gezeigt, wie ich Arm und Hand richtig bandagiere.» Yvette Stoel sagt, in Kosmetik- und Wellnessinstituten würden Patienten mit geschwollenen Armen oder Beinen unter Umständen jahrelang für eine Behandlung bezahlen, die nichts bringe.
Für Anna Sonderegger ist klar: Solche Institute sollten Patienten mit Schwellungen zum Arzt schicken. So sieht das auch Daniela Reutter, Spezialistin für Gefässkrankheiten am Unispital Zürich: «Patienten sollten zuerst vom Arzt abklären lassen, woher die Flüssigkeitsansammlungen stammen.» Denn eine Lymphdrainage könne in seltenen Fällen auch schaden, «zum Beispiel, wenn der Grund für das Wasser in den Beinen eine Herzschwäche ist».
Ein geschwächtes Herz kann zusätzlich anfallendes Wasser schlecht verkraften. Eine mögliche Folge davon: Der Patient bekommt Atemnot, weil sich durch die Lymphdrainage Wasser in der Lunge ansammelt. Reutter: «Das kann gefährlich werden.»
Schwimmen und Wassergymnastik helfen
Dank korrekter Therapie hat Stüssi ihr Lymphödem heute im Griff: Man sehe kaum einen Unterschied zwischen dem kranken und dem gesunden Arm, sagt sie. Nur einige Finger seien etwas stärker geschwollen. Wenn sie merke, dass sich der Arm stärker mit Flüssigkeit fülle, vereinbare sie jeweils gleich einen Termin bei ihrer Physiotherapeutin. Stüssi: «Nach der Lymphdrainage fühle ich mich immer sehr wohl und entspannt.» Arm, Hand und die Finger seien danach sehr viel weniger aufgeschwemmt als vorher. Zudem geht die Rentnerin oft Schwimmen und macht Wassergymnastik. Das unterstütze die Lymphgefässe zusätzlich, sagt sie.
Karin Zepic von der Firma Jolie Kosmetik schreibt dem Gesundheitstipp, sie verfüge über eine Ausbildung in Lymphologie. Diese befähige sie, die komplexe Therapie bei Ödemen durchzuführen. Sie sei auch von den Krankenkassen anerkannt. Weil ihr in der Praxis aber zu wenig Zeit bleibe für Patienten, bei denen «eine engmaschige Therapie» nötig sei, verweise sie diese an eine Klinik oder Physiotherapeutin. Ob Lymphdrainage gegen Schlafstörungen und Kopfschmerzen hilft, kann Zepic nicht belegen. Sie kenne auch keine entsprechenden Studien dazu.
Tipps: So finden Sie einen guten Therapeuten
- Die Grundversicherung zahlt nur Behandlungen von Physiotherapeuten mit einer Zusatzausbildung in Lymphologie.
- Adressen: www.physioswiss.ch/Services/Therapeutensuche. Kreuzen Sie bei den Kategorien Lymphologie an.
- Von den Zusatzversicherungen teilweise anerkannt sind medizinische Masseure und Masseurinnen (www.vdms.ch). Allerdings verfügen nicht alle über die geforderte Weiterbildung in lymphologischer Physiotherapie. Erkundigen Sie sich danach.
- Detaillierte Infos zu geeigneten Therapeuten finden Sie auch in der Broschüre der Krebsliga unter: www.krebsliga.ch/Leben mit Krebs/Begleitsymptome/Lymphödem
Das sollten Sie bei einem Lymphödem beachten:
- Bewegen Sie sich regelmässig. Das unterstützt den Lymphabfluss. Geeignet sind Schwimmen, Wassergymnastik, Joggen, Tai-Chi, Nordic Walking, Pilates, Yoga, leichtes Hanteltraining, Velofahren auf dem Hometrainer.
- Achten Sie darauf, dass Sie sich nicht völlig verausgaben.
- Pflegen Sie Ihre Haut mit milden Waschlotionen und Körpercremes.
- Verwenden Sie immer Sonnenschutzcreme.
- Heben Sie mit dem betroffenen Arm keine schweren Lasten.