Besser als die Autorin des Buchs «Grimms neue Märchen» kann man die Versuchung kaum beschreiben, die von Lebkuchen ausgeht: «Als sie näher kamen, sahen sie, dass nicht weisser Schnee auf dem Dach lag: Es war ganz und gar bedeckt mit weissem Zuckerguss. Die Hauswände waren deshalb so braun, weil sie aus Lebkuchen waren. Fensterläden und Eingangstür waren aus reinster Schokolade. Das Haus war rundherum verziert mit Nüssen, Mandeln, bunten Perlen und Herzen aus Zucker. Ihnen lief das Wasser im Munde zusammen. Gretel traute sich zuerst. Sie biss eine grosse Ecke der Lebkuchen-Fensterbank ab. Hänsel biss in einen Fensterflügel.»
Lebkuchen gehören in jeden Samichlaussack und sind an jedem Weihnachtsmarkt zu finden. Dabei unterscheiden sich Lebkuchen nur in zwei Dingen von Weihnachtsguetsli und vielen anderen Backwaren – in der uralten Tradition und bei den Gewürzen.
Bereits vor über 500 Jahren kursierten die ersten Rezepte in den Klöstern Europas. Damals entstand gar der Beruf des «Lebküchners», des Lebkuchenbäckers. Kaum ein anderes Weihnachtsgebäck enthält zudem eine Fülle orientalischer Gewürze, die nicht nur die Sinne schärfen – sondern auch bei einem Stimmungstief und Zivilisationskrankheiten helfen können.
So senkt Zimt den Blutdruck und erweitert bei Diabetes die Gefässe. Die Klosterfrau und Medizinerin Hildegard von Bingen rührte Zimt bereits im Mittelalter in ihre «Nervenkekse» ein. Die milde Schärfe von Kardamom soll Fettstoffwechsel, Appetit und Verdauung anregen. Das Gewürz soll zudem Erkältungen abwehren.
Koriander duftet nach Orangen und Zimt. Zudem beruhigt er bei Migräne. Oder Muskatnuss: Ihr Geschmack darf in keinem Lebkuchen fehlen. Myristicin, ein Bestandteil ätherischer Öle, regt Körper und Geist an und hellt die Stimmung auf (siehe Tabelle). Am besten kommt das Aroma zur Geltung, wenn man ganze Nüsse kauft und sie erst bei Bedarf raffelt.
Als Medizin setzt man die Gewürze vor allem in der Naturheilkunde ein (siehe Tabelle). Wissenschaftliche Studien existieren kaum. Ernährungsfachmann David Fäh von der Berner Fachhochschule bezweifelt aber, dass die geringen Mengen im Lebkuchen einen messbaren medizinischen Nutzen haben. Fäh vermutet einen grossen psychologischen Effekt. So würden zum Beispiel Düfte Stress abbauen, weil man sich an die märchenhaft verklärten Kindheitstage erinnere.
Einen Lebkuchen mit intensivem Duftbouquet selbst zu backen ist nicht aufwendiger als das Herstellen anderer Guetsli. Es gibt eine Fülle von Rezepten. Die Grundzutaten sind zwar meist die gleichen: Zucker und Mehl, oft Butter oder Milch. Doch dazu kommen je nach Region Honig, Rahm, Eier oder auch getrocknete Früchte. Fertige Gewürzmischungen können Zimt, Nelken, Ingwer, Sternanis, Muskatnuss oder Kardamom enthalten, aber auch pulverisierte Orangen- oder Zitronenschale.
Ein einfaches Rezept sind Grosis Lieblingslebkuchen, kleine Lebkuchen zum Naschen. Sie enthalten zur Hauptsache Mehl, Honig, Zucker und Butter (Kasten links). Aus Lebkuchenteig lassen sich zum Beispiel auch Schnitten oder Rouladen mit Trockenfrüchten backen. Der Gesundheitstipp hat für seine Leserinnen und Leser rund ein Dutzend köstlicher Rezepte in einem Merkblatt zusammengefasst (rechts).
Allerdings sind Lebkuchen Kalorienbomben. Deshalb gilt: Der Genuss bleibt nur, wenn man die Lebkuchen mit Mass isst. Für Ernährungsfachmann David Fäh sollten Übergewichtige und Menschen, die sich eher wenig bewegen, «etwas aufpassen».
Britta Daniel-Tonn: «Grimms neue Märchen 2.0. Kinderfreundlich, gewaltfrei, tierfreundlich», Kindle Verlag, Fr. 26.90