Am 27. Februar 2023 verwirft der Nationalrat eine Initiative des Kantons Genf, die den Zuckergehalt von Süssgetränken senken wollte. Am selben Tag schickt der Rat auch eine Initiative des Kantons Freiburg bachab, mit der Hersteller den Zuckergehalt auf den Produkten deklarieren sollten.
18. November 2022: Die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur wehrt eine parlamentarische Initiative ab, die forderte, dass Süssgetränke wie Rivella Rot oder Coca-Cola in die sogenannte «Erklärung von Mailand» einbezogen werden.
Mit dieser Charta verpflichteten sich grosse Nahrungsmittelkonzerne 2015, den Zuckergehalt ihrer Produkte zu vermindern. Die Kommission lehnte den Vorstoss ab. Begründung: Die Industrie reduziere den Zucker bereits freiwillig, Gesetze seien nicht nötig.
In der IG trifft Red Bull auf Mitte, SVP und EVP
Immer wieder fällt der Nationalrat Entscheide für die Lebensmittelindustrie. Das ist kein Zufall: In der Ernährungspolitik zieht die Zuckerlobby die Fäden, zum Beispiel eine Interessengemeinschaft mit dem Namen Informationsgruppe Erfrischungsgetränke. Mitglieder sind neun Nationalräte sowie Vertreter von Firmen wie Red Bull und Coca-Cola. Präsident ist Nationalrat Lorenz Hess (Die Mitte, Bern).
Die IG ist nicht unabhängig: Die Organisation liegt in den Händen des Verbands Schweizerischer Mineralquellen und Soft-Drink-Produzenten, präsidiert von Nestlé. Der Verband bezahlt Hess für seine Tätigkeiten 8000 bis 9000 Franken pro Jahr, schrieb die NZZ.
Die übrigen Mitglieder weisen zwar keine Einkünfte aus – doch auch sie lassen sich vor den Karren der Industrie spannen, die keine gesetzlichen Massnahmen im Ernährungsbereich will. So steht in den Statuten der IG Erfrischungsgetränke: «Die Mitglieder sind Botschafter dieses Konzepts in der Öffentlichkeit.»
Die IG verschweigt Ergebnis von Umfrage
Die Gruppe gibt sich vordergründig einen wissenschaftlichen Anstrich. Sie beauftragt das Institut GfS Bern jedes Jahr mit einer Bevölkerungsumfrage unter 1000 Personen. Dieser «Monitor Ernährung und Bewegung» erschien auch dieses Jahr. Pikant: Das Institut kam zum Schluss, die Zuckersteuer sei ein Anliegen «im Aufwind»: Die Anzahl Leute, die sich vorstellen können, dass zuckerhaltige Getränke besteuert werden, habe «klar zugenommen». Doch auf der Internetseite der IG Erfrischungsgetränke tönt das anders: «Schweizer Stimmberechtigte wollen die Ernährung nicht mit Steuern lenken», schreibt die IG. Die Resultate der Umfrage präsentiert sie den Parlamentariern jeweils bei Apéro und Mittagessen.
Der Verein Lobbywatch versucht die Interessenbindungen von Politikern aufzudecken. Otto Hostettler, Journalist und Co-Präsident, sagt: «Die IG Erfrischungsgetränke ist eine klassische Lobbyorganisation.» Und: «Sie hat nur einen Zweck: Damit wollen die Süssgetränkehersteller die Zuckersteuer verhindern.»
Nationalrat Lorenz Hess und der Verband der Schweizerischen Mineralquellen und Soft-Drink-Produzenten schreiben, die IG sei «politisch nicht aktiv», aber «in der Diskussion betreffend Zuckersteuer engagiert». Die Zustimmung zur Steuer sei zwar gestiegen. Der Anteil Zustimmender sei aber noch immer eine Minderheit. Er erhalte im Fall von organisatorischem Mehraufwand eine Spesenentschädigung, die sich am Sitzungsgeld des Parlaments orientiere – nicht 8000 Franken im Jahr.
Nationalrat Gmür sagt, es sei legitim, dass man sich organisiere und gegen eine Zuckersteuer wehre. Es sei «Wunschdenken», dass so weniger Süssgetränke konsumiert würden. Rivella schreibt, sie sei Mitglied der IG, weil «Informationsbedarf besteht».