Colin Braginsky geniesst es, als Ausgleich zu seinem Bürojob durch Strassen und Wälder zu laufen. Mehrmals pro Woche joggt der 43-jährige Basler allein oder im Laufverein. Braginsky kauft regelmässig neue Joggingschuhe. Dabei machte er nicht immer gute Erfahrungen. Einmal wollte man ihm einen Schuh verkaufen, der das Fussgewölbe seitlich stützt, damit man beim Abrollen nicht gegen innen knickt. «Das brauche ich aber nicht», sagt er.
Viele Sportläden empfehlen ihren Kunden eine computergestützte Fuss- und Laufanalyse, wenn diese neue Schuhe kaufen wollen (siehe Tabelle im PDF). SportXX etwa wirbt damit, so finde man den «perfekt passenden Schuh». Der Service umfasst meist eine dreidimensionale Messung des Fusses und eine Druckmessung auf einer Platte. Manche Verkäufer filmen die Kunden zudem beim Joggen im Laden. Aufgrund dieser Daten schlägt der Computer bestimmte Schuhmodelle vor.
Fussmessungen sind oft unzuverlässig
Experten sehen solche Laufanalysen skeptisch. German Clénin, Leiter des Sportmedizinischen Zentrums Bern Ittigen, sagt: «Es gibt grosse Unterschiede zwischen den Systemen.» Auch eine Übersichtsstudie der Universität Sidney (Australien) von 2021 zeigte, dass die Resultate der Fussmessungen höchst unterschiedlich ausfielen und zum Teil unzuverlässig waren. Laut Clénin ist ein erfahrener Verkäufer, der selber Laufsportler ist, mehr wert als «die vermeintliche Hightechanalyse».
Bei solchen Laufanalysen messen Sensoren die Füsse aus. Dann erstellt der Computer ein dreidimensionales Modell der Füsse. Laut den Läden erkennt man so die richtige Passform des Schuhs. Doch Gesundheitstipp-Arzt Thomas Walser sagt: «Dafür gibt es keine wissenschaftliche Basis.» Für Gesunde hätten Fussscans keinen Nutzen.
Experten sind auch gegenüber Druckmessungen skeptisch. Dabei joggt man im Laden über eine Platte, die mit Sensoren ausgestattet ist. Diese messen den Druck auf den Fuss und analysieren, wie der Fuss abrollt. Belastet man die Aussenkante zu stark, spricht man von Supination. Belastet man die Innenkante zu stark, ist die Rede von Pronation. Die Händler verkaufen dann Schuhe, die den Fuss entsprechend stützen. Der Zürcher Sportwissenschafter Christian Kryenbühl kritisiert: Bei einer soliden Laufanalyse komme es viel eher darauf an, den ganzen Bewegungsablauf bei Fuss, Knie und Becken zu prüfen.
In manchen Filialen filmen Schuhverkäufer die Kunden beim Laufen. Doch auch das hat laut Kryenbühl fast keinen Nutzen. Falsche Perspektiven könnten hier zu Fehlinterpretationen führen, warnt er. Viele Läden würden mit solchen Videos versuchen, «fehlende Fachkompetenz wettzumachen». Zum Vergleich: In medizinischen Zentren filmt man Läufer zwar auch – aber dreidimensional, mit Infrarotvideotechnik oder mehreren Kameras gleichzeitig. Weiterer Kritikpunkt: Die Software schlägt häufig nur Schuhmodelle vor, die das Geschäft gerade an Lager hat. Dadurch ist die Auswahl eingeschränkt.
«Einfacher Laufschuh ohne Dämpfung reicht»
Laut German Clénin sind Hobbyläufer mit einem sogenannten Neutralschuh gut bedient, der das Fussgewölbe nicht stützt. Thomas Walser bestätigt: «Meistens genügt ein einfacher Joggingschuh ohne Dämpfung, Stützung und Führung.» Das zeige auch die aktuelle Forschung. Die Sohle sollte nicht zu weich sein und möglichst kein Stützmaterial unter dem Fussgewölbe haben. Walser begründet: «Das belastet die Gelenke zu stark.»
Das bestätigte eine Studie im Jahr 2009. Die Forscher liessen gesunde Sportler auf einem Laufband trainieren. Resultat: Trugen sie gepolsterte Schuhe, war die Belastung für Hüfte, Knie und Fussgelenk erhöht. Besonders stark war die Hüfte belastet.
Läufer Colin Braginsky wechselt zwischen mehreren Schuhmodellen ab, um alle Muskeln seiner Füsse zu trainieren. Für Wettkämpfe wählt er einen leichten Schuh, mit dem er sehr schnell ist. Im Training trägt er neutrale Schuhe. Gesundheitstipp-Arzt Walser findet das sinnvoll. «Trägt man immer wieder andere Schuhe, lässt sich der negative Einfluss eines Modells auf ein Minimum reduzieren.» Als Ergänzung zu normalen Trainingsschuhen empfiehlt er Barfussschuhe mit sehr dünnen Sohlen. Denn: «Wer barfuss läuft, läuft instinktiv richtig.» Den Wechsel auf solche Schuhe solle man aber langsam vollziehen. «Wer zu schnell umsteigt, kann die innere Kniesehne überlasten», warnt er.
SportXX schreibt, eine 3-D-Fuss- und Laufanalyse ersetze keine Spezialisten. Bei SportXX durchliefen Verkäufer eine mehrtägige Ausbildung. Sie beobachteten genau, was mit der Bewegungskette Fuss-Knie-Hüfte passiere.
Tipps: So finden Sie den richtigen Laufschuh
- Bringen Sie Ihren alten Laufschuh mit ins Sportgeschäft. Die Abnützung der Sohle sagt viel über Ihren Laufstil aus: Man sieht, ob Sie nach innen oder aussen kippen.
- Schuhe mit Fussbettstütze sind nur bei starker Fehlstellung sinnvoll. Die meisten Leute brauchen einen neutralen Laufschuh mit dünner, flexibler und flacher Sohle – ohne Stützmaterial.
- Der Schuh sollte nicht drücken und vorn eine Daumenbreite Platz lassen.
- Joggen Sie ein paar Runden im Laden. Nicht nur der Fuss, auch Knie und Hüfte sollten sich gut anfühlen.
- Suchen Sie den Laufschuh nicht anhand optischer Kriterien aus. Entscheidend ist die Funktionalität.
- Wenn Sie mehrmals pro Woche laufen: Wechseln Sie zwischen verschiedenen Modellen ab.