Auf der Website Nestle-family.ch rät der Lebensmittelkonzern Nestlé: «Trinken Sie, bevor der Durst kommt.» Und: «Egal, wo und wie Sie unterwegs sind: Nehmen Sie immer eine kleine Flasche Wasser mit.» Weiter heisst es: «Trinken Sie immer wieder zwischendurch kleine Mengen.» Nestlé vertreibt Mineralwasser wie San Pellegrino, Henniez und Vittel. Der Mineralwasserproduzent Rhäzünser empfiehlt sogar: «Stellen Sie überall in Ihrer Wohnung Mineralwasserflaschen hin. Dies erinnert Sie ans Trinken.»
Mit solchen Werbebotschaften will die Mineralwasserindustrie die Konsumenten dazu bringen, viel zu trinken – mindestens 1,5 bis 2 Liter täglich. Der Bund und Ernährungsgesellschaften blasen ins gleiche Horn. Die permanente Berieselung hinterlässt Spuren: Viele Leute gehen nicht mehr ohne eine Flasche Wasser aus dem Haus. Das zeigt eine Strassenumfrage des Gesundheitstipp (siehe unten).
Fachleute kritisieren die Empfehlungen. Denn es macht aus gesundheitlicher Sicht keinen Sinn, ständig Wasser zu trinken. Professor Stanley Goldfarb vom Universitätsspital in Pennsylvania (USA) sichtete bereits vor einigen Jahren die Studien. Sein Fazit: Es gibt «keine klare Evidenz», dass solche Trinkempfehlungen einen Nutzen haben. Eine Niere schwemme nicht mehr Gifte aus dem Körper, wenn man viel trinke. Es gebe auch keinen Hinweis darauf, dass viel Trinken den Stoffwechsel verbessere.
Häufiges Trinken kann zu Salzmangel führen
Wer viel Wasser trinkt, lebt zudem nicht länger – das zeigte vor vier Jahren eine australische Studie mit 4000 Teilnehmern. Eine Gruppe trank weniger als 2 Liter, die zweite 2 bis 2,5 Liter eine dritte 2,5 bis 3 Liter. Das Resultat: Die Sterblichkeit innerhalb von dreizehn Jahren war in allen Gruppen gleich gross.
Im Gegenteil: Wer zu viel trinkt, könne seinem Körper schaden, sagt der Gesundheitstipp-Arzt Thomas Walser. Denn häufiges Trinken fördert die Produktion von Harn. Er schwemmt vor allem bei älteren Menschen wichtige Mineralien wie Natrium aus dem Körper. Denn ihre Nieren funktionieren oft nicht mehr richtig. Walser: «Das kann zu einem Mangel an Salz führen.» Dadurch lagert sich Flüssigkeit im Gewebe ein. Diese Effekte könnten, so Walser, allenfalls bereits ab drei Liter täglich eintreten. Gefährdet seien auch Patienten mit Nierenproblemen.
Riskant ist vor allem, innert kurzer Zeit viel zu trinken. Das zeigten vor einigen Jahren koreanische Forscher im Fachmagazin «Annals of Pediatric Endocrinology and Metabolism» auf: Bereits wer mehr als einen Liter pro Stunde trinkt, überlastet seine Nieren. Dadurch gelangt mehr Flüssigkeit vom Blut in den restlichen Körper, auch ins Gehirn. Die Folgen: Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen oder Atemnot.
Selbst Sportler sollten nicht ständig zur Flasche greifen. Eine Untersuchung mit Läufern des Marathons in Boston (USA) zeigte: Jeder siebte hatte nach dem Laufen einen zu niedrigen Gehalt an Natriumsalzen im Blut, weil er zu häufig Wasser trank. Das kann zu Verwirrtheit, Muskelzittern und Krampfanfällen führen. Zum gleichen Schluss kam eine Untersuchung mit 200 Läufern am Londoner Marathon.
In Früchten und Gemüse hats viel Wasser
Das beste Signal zum Wassertrinken hat der Körper im Programm: der Durst. David Fäh von der Berner Fachhochschule sagt: «Ein gesunder Mensch muss sich nicht zum Wassertrinken zwingen. Es reicht zu trinken, wenn man Durst hat.» Davon ausgenommen sind ältere und gebrechliche Menschen, bei denen das Durstgefühl gestört ist.
Was oft vergessen geht: Wer viel Früchte und Gemüse isst, nimmt damit auch viel Wasser auf. So enthält ein Apfel rund anderthalb Deziliter Wasser, ein Salat mit Eisberg, Tomate und etwas Gurke drei Deziliter. Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung hat ausgerechnet, dass man mit ausgewogenem Essen bereits einen Liter Wasser pro Tag zu sich nimmt.
Für den Körper macht es keinen Unterschied, woher die Flüssigkeit kommt. Der Nierenspezialist Hermann Saxenhofer aus Bern sagt: «Wasser bleibt Wasser. Ob es aus einer Gurke oder dem Wasserhahn kommt, ist egal.» Dazu kommt: Mit dem Gemüse nimmt man neben Wasser auch wertvolle Stoffe wie Vitamine, Antioxidantien und Ballaststoffe auf, die den Körper vor Krankheiten wie Darmkrebs oder Diabetes schützen.
Nestlé schreibt, die Plattform Nestlefamily.ch unterstütze mit Ratschlägen eine gesunde Ernährung. Es sei «völlig unbegründet» zu behaupten, dass die Kampagne den Konsum von Mineralwasser anregen wolle. Vielmehr sei es das Ziel, die Leute zu motivieren, mehr Wasser zu trinken. Rhäzünser sagt, ihre Tipps zum Trinken seien «Denkanstösse». Beide Unternehmen verweisen wie der Verband Schweizer Mineralquellen auf die Empfehlung der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung. Sie sagt, man solle am besten Hahnenwasser trinken. Denn dieses sei in der Schweiz von bester Qualität.
So kommen Sie zu genügend Wasser
- Trinken Sie immer dann, wenn Sie Durst haben.
- Beobachten Sie Ihren Urin: Ist er dunkel, trinken Sie zu wenig – ist er hell, zu viel.
- Trinken Sie zum Essen Wasser und keine Süssgetränke.
- Trinken Sie wenig Alkohol und dazu ein Glas Wasser.
- Trinken Sie vor einer sportlichen Aktivität vorsorglich ein bis zwei Glas Wasser.
- Ernähren Sie sich ausgewogen, mindestens zur Hälfte von Salat, Gemüse und Früchten.
- Vermeiden Sie Fertigprodukte. Sie enthalten oft viel Salz und und machen durstig.
- Essen Sie häufig Suppen.
Umfrage: Wie viel Wasser trinken Sie?
Adrian Meyer, 32, Einsiedeln SZ
«Pro Tag trinke ich etwa drei Liter Wasser. Ich habe auch immer eine Flasche dabei und bin häufig durstig. Vielleicht liegt es an der trockenen Luft im Büro oder daran, dass ich viel Sport mache.»
Rosmarie Bosshard, 71, Zürich
«Ich stelle immer etwas zum Trinken in der Küche bereit, Tee oder Wasser. Dann vergesse ich es nicht. Während des Tages trinke ich eineinhalb bis zwei Liter. Wenn ich länger unterwegs bin, nehme ich eine Flasche Wasser mit.»
Martina Bilic, 21, Bremen (D)
«Ich trinke jeden Tag vier Liter. Ich weiss, das ist viel. Aber wenn ich weniger trinke, fühle ich mich schlapp. Deshalb habe ich immer eine Flasche Wasser dabei. Bei der Arbeit stelle ich sie auf den Schreibtisch.»
Ulrich Carlos, 48, Zürich
«Ich habe immer Wasser dabei. An einem normalen Tag trinke ich etwa zweieinhalb Liter, im Sommer mehr. Ich fülle die Flasche meist an Brunnen auf, weil mir dieses Wasser am besten schmeckt. Wenn ich weniger trinke, fühle ich mich unwohl.»