Ein Montagabend im Mai. In einem mit bunten Tüchern und Kerzen dekorierten Raum in der Zürcher Innenstadt versammeln sich zwei Dutzend Frauen und Männer. Sie sind gekommen, um Streicheleinheiten zu tanken – unter Anleitung der Kuscheltrainer Bernhard Bäumle und Lucianna Braendle.
Einmal pro Monat bieten die zwei einen Kuschelabend an, damit sich einsame Menschen näher kommen können. Die 43-jährige Anita (Name geändert) ist zum dritten Mal dabei. «Ich bin frisch getrennt und fühle mich innerlich ausgetrocknet», sagt sie. «Mir fehlt der Körperkontakt.»
Kuschelpartys sollen ein «Urbedürfnis» stillen
Bevor es losgeht, erklären die Kuscheltrainer die Regeln: Küssen und erotische Berührungen sind verboten. Dann legen sie Matten auf den Boden. Sanfte Musik erklingt ab CD. Bald liegen alle Teilnehmer in einem grossen Haufen. Sie halten sich umschlungen, streicheln sich. Ab und zu steht jemand auf, um neue Kuschelpartner zu suchen.
Im Internet schreiben Bäumle und Braendle, am Kuschelabend könnten die Teilnehmer das «Urbedürfnis» nach «Nähe, Berührung und Herzkontakt» stillen. Das sei gesund: Kuscheln bekämpfe Stress, senke den Blutdruck und stärke das Immunsystem. Für 30 Franken ist man dabei.
Für viele ist klar: Der Besuch einer Kuschelparty macht nicht im gleichen Mass glücklich wie das Kuscheln mit dem Partner beziehungsweise der Partnerin. Die Zürcher Psychologin Beate Ditzen sagt, der gesundheitliche Nutzen des Körperkontakts sei bei Kuschelpartys nie untersucht worden, sondern nur bei therapeutischen Massagen und bei festen Paaren: «Das ist nicht vergleichbar.»
Und der Zürcher Psychotherapeut Res Wepfer kritisiert, Kuschelpartys seien eine oberflächliche Sache: «Bei diesen Veranstaltungen wird Zärtlichkeit zur entpersonifizierten Ware, die man gefahrlos konsumieren kann.»
Kuscheltrainer Bäumle entgegnet: «Teilnehmer sagen uns, dass sie sich nach dem Kuschelabend zufrieden und entspannt fühlen.» Man könne «achtsame Nähe teilen» und Neues ausprobieren, auch wenn man nicht in einer festen Beziehung lebe.
Paaren tut Kuscheln gut – es baut Stresshormone ab
Unbestritten ist: In einer festen Beziehung ist das Kuscheln wichtig – und es tut gut. Die Zürcher Psychologin Ditzen fand heraus: Frauen und Männer, die oft mit ihrem Partner Zärtlichkeiten austauschen, haben weniger Stresshormone im Körper als Menschen, die selten oder nie mit dem Partner Hautkontakt haben.
Der Berner Paartherapeut Klaus Heer weiss, dass nicht nur Singles, sondern auch Paare oft an einem Kuscheldefizit leiden: «Wenn die Verliebtheit vorbei ist, lassen viele Paare den Hautkontakt einschlafen, weil andere Aktivitäten wie fernsehen oder Sport treiben für sie wichtiger sind.» Das sei schade, findet Heer: «Eine Beziehung braucht ein Minimum an Hautkontakt.»
Denn Liebe und Zuwendung könne man am besten über die Haut mitteilen: «Beim Kuscheln kann ein Paar entspannte Nähe geniessen, was bei der Sexualität oft nur schwer möglich ist.» Deshalb sei das Kuscheln für eine Paarbeziehung sogar überlebenswichtiger als Sex.
Auch die Winterthurer Sexualberaterin Kristina Pfister sagt: «Paare, die sich Zeit nehmen füreinander, scheinen in der Minderheit zu sein. Viele rücken leider nur vor dem Fernsehgerät zusammen.» Oft sei das Problem der übervolle Terminkalender: «Der Alltag vieler Paare ist voll mit allen möglichen Verpflichtungen, und die Kinder wollen betreut sein. Unterm Strich bleibt deshalb kaum Zeit zum Kuscheln.»
Tipp: «Jede Woche einen Paarabend einplanen»
Kristina Pfister rät Paaren: «Weil unsere Welt immer mehr vom Terminkalender dominiert wird, hat Zweisamkeit nur eine Chance, wenn man ihr ein festes Zeitfenster einräumt. Deshalb sollte man jede Woche einen Paarabend einplanen.»
Klaus Heer hat einen anderen Tipp für Paare, die merken, dass sie an einem Kuscheldefizit leiden, und das ändern möchten: «Die meisten Paare haben einen kleinen Rest an Körperkontakt bewahrt – beim Gutenachtkuss oder beim Anstossen mit einem feinen Burgunder.» Das lasse sich ausbauen. «Man könnte dem Partner auch einfach sagen, dass einem herzwarme Berührungen fehlen. Vielleicht weiss er das gar nicht.»
Tipps: So bringen Sie Ihre Beziehung in Schwung
- Kuscheln tut gut und bringt Sie Ihrem Partner beziehungsweise Ihrer Partnerin näher.
- Eine Massage mit einem fein duftenden Öl wirkt entspannend.
- Nehmen Sie sich Zeit, um Ihre Beziehung aktiv zu pflegen. Buchen Sie zum Beispiel ein Wellness-Weekend zu zweit.
- Zuneigung zeigt man nicht nur mit den Händen. Machen Sie Ihrem Partner/Ihrer Partnerin jeden Tag ein Kompliment.