Tagsüber hat Erika Kneubühl viel mit Menschen zu tun: Die 41-jährige Bernerin ist Sozialarbeiterin. «Am Abend bin ich froh, wenn ich die Tür hinter mir schliessen kann und allein bin.» Ihre Wohnung liegt zwischen der Aare und dem Berner Hausberg Gurten, umgeben von Bäumen. «Mein Zuhause ist mein Kraftort, an dem ich mich frei fühle und wo ich Energie tanke», sagt Kneubühl. Das war nicht immer so: Acht Jahre lang lebte sie in Wohngemeinschaften.
Das war für sie manchmal turbulent: Die WG-Partnerinnen telefonierten laut, liessen ständig den Fernseher laufen und hatten oft Besuch. «Mir fehlte die Ruhe, vor allem am Sonntagmorgen», erinnert sich Kneubühl. Seit zehn Jahren lebt sie nun allein in ihrer eigenen Wohnung. Zahlen des Bundesamtes für Statistik zeigen: In jedem fünften Haushalt in der Schweiz lebt eine Einzelperson. Die meisten von ihnen sind Singles. In der Weihnachtszeit kann sich bei ihnen ein Gefühl der Einsamkeit einstellen.
Der Psychologe Henri Guttmann aus Winterthur ZH sagt: «Mit Weihnachten verbindet man meist das Bild einer harmonischen Familie.» Je weniger das eigene Leben diesem Bild entspreche, umso unglücklicher fühle man sich. Doch wer allein lebt, muss deswegen nicht einsam sein. Im Gegenteil: Wer Zeit nicht in Gesellschaft verbringt, kann daraus viel Kraft schöpfen. Die Berner Psychologin Joëlle Gut sagt: «Man kann genau das tun, was man möchte, und muss dabei nicht auf andere Rücksicht nehmen.»
[werbung]Wer das Leben aktiv und selbstbestimmt gestaltet, lerne eigene Bedürfnisse kennen und stärke das Selbstvertrauen. Die Psychologin Regula Häberli aus Zürich bestätigt: «Wer lernt, das Alleinsein zu geniessen, stärkt die Fähigkeit, sich auf sich selber zu verlassen.»
Alleinsein macht kreativ und offen für Neues
Hinzu kommt: Viele Leute berichten, dass sie besser nachdenken können und mehr Ideen haben, wenn sie allein sind. «Ohne Ablenkung durch andere ist man häufig kreativer», sagt Joëlle Gut. Zudem finden sie eher Lösungen für Probleme, sind offener für andere Menschen und unternehmen in der Freizeit unterschiedlichere Dinge. Studien bestätigen das: Forscher der US-amerikanischen Universität Buffalo befragten 300 Studentinnen und Studenten, wie oft und warum sie Zeit allein verbrachten.
Eines der Resultate: Leute, die häufig soziale Kontakte pflegten, sich aber auch regelmässig zurückzogen, schätzten sich als besonders kreativ ein.
Wer ungestört ist, hat weniger Stress
Ein weiterer Punkt: Viele Leute erholen sich besser, wenn sie allein sind. Australische Forscher zeigten in einer Studie, dass Alleinsein Stress reduzieren kann. Sie befragten 175 junge Erwachsene über mehrere Wochen. Die Hälfte von ihnen musste zuerst jeden Tag 15 Minuten allein verbringen, danach konnten sie diese Zeit selbst wählen. Ergebnis: Wer freiwillig das Alleinsein suchte, war weniger gestresst. Joëlle Gut bestätigt: «Wer ungestört ein gutes Buch liest, einen Film schaut oder meditiert, kann Stress besser reduzieren.»
Zudem könne man beim Alleinsein neue Interessen und Hobbys entdecken, sagt Gut. «Man kann in Ruhe über die eigenen Wünsche, Ängste und Ziele nachdenken.» Deshalb rät sie auch Leuten in Partnerschaft oder mit Familien, ab und zu allein Zeit zu verbringen. Erika Kneubühl muss sich manchmal überwinden, unter die Leute zu gehen. Doch sie tauscht sich oft mit Bekannten aus. Über das Portal Gemeinsamerleben.com fand sie eine Frau, mit der sie gern ins Theater geht. Mit anderen Bekannten geht sie oft essen.
Trotzdem sagt sie: «Ich brauche viel Zeit für mich.» An Weihnachten werde sie etwa wandern, Yoga machen und meditieren.
Tipps: So können Sie das Alleinsein geniessen
• Stellen Sie in Ihrer Wohnung einen Blumenstrauss, eine Kerze oder einen Adventskranz auf den Tisch.
• Telefonieren Sie regelmässig mit Familie, Freunden und Bekannten, und treffen Sie sich mit ihnen.
• Kochen Sie auch für sich selbst frisch und gesund. Ideen liefert das Gratis-Merkblatt Einfache Rezepte für eine Person. Zum Herunterladen unter Gesundheitstipp.ch
• Wenn Sie pensioniert sind: Legen Sie eine Tagesstruktur fest, und planen Sie jeden Tag einen Spaziergang ein.
• Suchen Sie sich ein Ehrenamt oder eine freiwillige Tätigkeit, zum Beispiel über Benevol.ch.
• Organisieren Sie einen fixen Termin in der Woche, zum Beispiel für einen Sportkurs oder eine Klavierstunde.
• Planen Sie für Abende Aktivitäten ein, die Ihnen Freude machen: Lernen Sie eine Sprache, machen Sie etwas Kreatives, oder spielen Sie ein Instrument.
• Besuchen Sie Museen. Dort sind oft Leute allein unterwegs.
• Gehen Sie in Restaurants, und geniessen Sie das Essen in vollen Zügen. Die meisten Restaurantgäste nehmen Alleinesser kaum wahr. Sie sind mit ihren Tischgenossen beschäftigt.
• Suchen Sie Gleichgesinnte, etwa über die Internetportale Gemeinsamerleben.com oder Spontacts.com.
• Unternehmen Sie ab und zu eine Reise und buchen Sie ein schönes Hotel oder eine tolle Ferienwohnung