Mittel wie Neocitran, Flumol Grippe und Pretuval C sind beliebt. Allein im letzten Jahr gingen 2,7 Millionen Packungen über den Ladentisch, wie Zahlen des Herstellerverbands Interpharma zeigen. Die Präparate sollen gegen Schnupfen, Husten, Kopf- und Gliederschmerzen helfen. Man nimmt sie als Heissgetränk oder Sirup. Die Mittel gibt es ohne Rezept in Apotheken.
Fachleute raten von solchen Kombimitteln ab. Es seien «Schrotschusskombinationen», sagt Arzt Wolfgang Becker-Brüser von der Zeitschrift «Arznei-Telegramm». «Die meisten Patienten schlucken dabei zu viel unnötige Chemie.»
Das Problem: Die Präparate enthalten bis zu vier Wirkstoffe, von denen manche umstritten oder nutzlos sind. So hat vor kurzem die US-Arzneimittelbehörde Phenylephrin als unwirksam bewertet. Der Stoff soll dafür sorgen, dass bei einer Erkältung die entzündeten Schleimhäute abschwellen. Er ist etwa in Neocitran Grippe/Erkältung und Flumol Grippe enthalten.
Hinzu kommt: Phenylephrin lässt, wie auch die Stoffe Ephedrin oder Pseudoephedrin, den Blutdruck ansteigen. Der Pharmakologe Stefan Weiler von der ETH Zürich sagt: «Für Leute mit einem hohen Blutdruck können solche Präparate riskant sein.»
Problematisch sind auch die Wirkstoffe Pheniramin, enthalten etwa in Dafalgan Grippal, Clorphenamin (in Fluimucil Grippe Day & Night) und Doxylamin (in Vicks Medinait). Diese Stoffe setzt man bei Allergien ein. Allerdings ist unklar, ob sie auch bei Grippepatienten Schnupfen lindern. Hinzu kommt: Allergiemedikamente machen sehr müde. Beim Autofahren kann das gefährlich sein.
Der Berner Pharmakologe Bernhard Lauterburg findet es fragwürdig, dass die Kombimittel mehrere Stoffe gegen unterschiedliche Beschwerden enthalten. «Denn Fieber, Schnupfen und Husten treten meist nicht gleichzeitig und in gleicher Ausprägung auf», sagt Lauterburg. «Viele dieser Kombinationen ergeben darum keinen Sinn.» Die Gefahr sei gross, dass Patienten unnötige Substanzen schlucken.
Das gilt auch für Vitamin C, das in fast allen Präparaten steckt. Es soll die Abwehrkräfte stärken. Für Lauterburg ist aber klar: «Vitamin C hilft nicht, wenn man bereits krank ist.» Das hätten Studien gezeigt.
Paracetamol: In hoher Dosis riskant
Bei Paracetamol kann es ebenfalls zu Problemen kommen. Der Stoff steckt in allen Präparaten. Er hilft gegen Schmerzen und senkt das Fieber. Als Einzelstoff ist Paracetamol in kleinen Mengen unbedenklich. Patienten ist aber oft nicht bewusst, dass auch in Kombimtteln viel davon enthalten ist. Eine einzelne Portion enthält rund 0,5 Gramm Paracetamol. Schlucken Patienten zusätzlich Paracetamol gegen Schmerzen, wird es gefährlich: Bereits ab einer Tagesdosis von 4 Gramm sind Schäden an der Leber möglich. Ab rund 8 Gramm besteht sogar die Gefahr von akutem Leberversagen (Gesundheitstipp 10/2022).
Beschwerden besser gezielt bekämpfen
Bernhard Lauterburg rät Grippepatienten, Beschwerden gezielt zu bekämpfen, statt zu einem Kombimittel zu greifen. Ist die Nase verstopft, könne man einige Tage Nasentropfen verwenden oder Spülungen mit Salzwasser machen. Eine leicht erhöhte Körpertemperatur müsse man nicht unbedingt senken. Lauterburg: «Fieber ist eine Abwehrmassnahme des Körpers und hilft, Viren zu bekämpfen.» Bei hohem Fieber helfen Wadenwickel mit Essig, zudem sollten Patienten viel trinken. Das nehmen viele Leute zu Herzen, wie eine Umfrage des Gesundheitstipp bei Passanten in Zürich zeigt.
Wer bei Grippe ein Medikament braucht, sollte laut Stefan Weiler Präparate mit einem einzelnen Wirkstoff wählen, etwa Ibuprofen oder Paracetamol. «So lässt sich das Fieber gezielt senken.»
Nobel Pharma schreibt, dass die Zulassungsbehörde Neotylol Grippe mit dem Wirkstoff Phenylephrin als sicher und wirksam beurteilt habe. Man nehme aber die Einschätzung der US-Behörde zu Phenylephrin «sehr ernst».
Amavita Health Care, Hersteller von Flumol Grippe, und Haleon (Neocitran) sagen, bei Phenylephrin gebe es «keine Sicherheitsbedenken». Solange die Behörden keine Massnahmen verfügten, seien Präparate mit dem Stoff «sicher und wirksam».
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