Vor ein paar Stunden hat es noch geregnet. Es ist kühl und feucht im Wald am Stierenberg, nahe des Aargauer Dorfs Menziken. Dunkle Wolken ziehen über den Himmel. Doch Regula Schraner und Ursula Oehen stört das Wetter kein bisschen. Munter ziehen die beiden Schuhe und Socken aus und stehen barfuss auf dem feuchten Waldboden. «Kalt? Nein, überhaupt nicht», lacht Regula Schraner. Sie geht bei jeder Temperatur barfuss. Denn die beiden Frauen sind beim Seetaler Kneippverein. Sie halten sich seit Jahren mit den Methoden des Pfarrers Sebastian Kneipp fit. Bekannt sind vor allem seine Wassertherapien wie Wassertreten und Armbäder. Schraner ist überzeugt, dass sie das Kneippen gesund erhält: «Ich fühle mich danach jeweils rundum wohl.»
In der Schweiz kann man das Kneippen an weit über 50 Anlagen ausprobieren, die fast immer kostenlos sind. Der Gesundheitstipp stellt zehn besonders attraktive Orte vor, die sich auch gut für einen Sommerausflug eignen (siehe Tabelle).
Der Parcours auf dem Stierenberg ist einer davon. Ein gut einstündiger Spaziergang führt Regula Schraner und Ursula Oehen quer durch den Wald, an verschiedenen Stationen vorbei. Vögel zwitschern. Auf dem Barfusspfad gehen sie mit nackten Füssen über weiches, sattgrünes Moos. Danach steigen sie zum Wassertreten in einen gestauten Bach. Die Frauen staksen durchs kalte Wasser, Knie hoch, Fussspitze nach unten. «Man sollte wie ein Storch gehen», erklärt Regula Schraner. Nach einer Weile wird die Kälte unangenehm – Zeit, die Füsse trocknen zu lassen. Danach kribbeln die Beine angenehm und fühlen sich warm an.
Solche Wassertherapien nach Kneipp regen den Kreislauf an und fördern die Durchblutung. Studien aus Deutschland haben gezeigt, dass das unter anderem bei Bluthochdruck, Arthrose und Lungenkrankheiten helfen kann.
Auch die Hochgebirgsklinik Davos setzt die Kneipptherapie ein, z. B. bei chronisch entzündeten Atemwegen, bei Schmerzen im Bewegungsapparat, Erschöpfung oder Schlafstörungen. Anne Göttlicher, Leiterin für Physikalische Therapie, sagt: «Kneippen ist mehr als Wellness.» Es tue dem ganzen Körper gut – «sowohl bei akuten oder chronischen Krankheiten als auch vorbeugend». Es stärke das Immunsystem, beuge Infekten vor und erhöhe die köperliche und geistige Leistungsfähigkeit, sagt Göttlicher.
Das Gesundheitsprogramm besteht jedoch nicht nur aus Wassertherapien. Das erfährt man auf den Infotafeln auf dem Stierenberg. Dazu gehört auch, dass man gesund isst, sich entspannt und Heilkräuter anwendet. Diese sind die Leidenschaft von Ursula Oehen. Immer wieder entdeckt sie am Wegrand ein heilsames Kräutlein: Da ist der Giersch, der Eisen, Magnesium und Kalzium enthält. Ebenso Brennnesseln. «Auch die Blüten sind sehr gesund», schwärmt Oehen, zwackt einige ab und steckt sie in den Mund. Von einem Holunderstrauch pflückt sie Blütendolden: «Das duftet herrlich.» Sie werde daraus einen feinen Sirup machen.
Zum Schluss tauchen die beiden Frauen ihre Arme ins eiskalte Wasser am Brunnen – der letzten Station des Rundgangs. «Das ist der Kneipp-Espresso», sagt Schraner. Der Grund: Das Armbad erfrischt und hilft auch gegen Kopfweh. Wichtig sei, dass man zwischen Wassertreten und Armbad genügend Zeit verstreichen lasse. Denn sonst wirken sich die beiden Anwendungen entgegen.
Kneippen kann fast jeder – vom Kind bis zum Greis. Laut Fachfrau Anne Göttlicher gibts nur wenige Gründe, darauf zu verzichten: etwa bei Fieber, schweren Infekten, Kälteallergie oder Entzündungen von Blase oder Nieren.
Weitere Infos
- Schweizer Kneippverband, Bern, Tel. 031 372 45 43; Kneipp.ch
- App «Hilf Dir selbst mit Kneippen», Anleitungen für Therapien gegen viele Beschwerden, Fr. 7.–