Mehrmals pro Woche unterstützt die Spitex Embrachertal die 85-jährige Elisabeth Lienhard aus Freienstein ZH bei der Körperpflege und beim Anziehen der Stützstrümpfe. Dafür benötigt das Personal jeweils ungefähr eine halbe Stunde. Doch die Spitex berechnete ihr teilweise deutlich mehr.
Lienhards Bezugsperson Esther Mayer wurde hellhörig. Im letzten September empfahl sie der Seniorin, aufzuschreiben, wie lange die Spitex-Frauen wirklich bei ihr sind: Esther Mayer: «Der Vergleich zeigte, dass die Rechnung deutlich zu hoch war.» Konkret: Die Spitex verrechnete Elisabeth Lienhard im September 2019 insgesamt 8,9 Stunden Pflegeleistungen. Das ergab einen Anteil von Fr. 559.40 für Kanton und Gemeinde und Fr. 486.85 für die Krankenkasse (siehe die oben rechts im PDF abgebildete erste Rechnung).
Monatsrechnung um 247 Franken reduziert
Nachdem Lienhard und Mayer reklamiert hatten, schickte die Spitex eine korrigierte Rechnung: Sie verrechnete nur noch sieben Arbeitsstunden. Die Kosten für die öffentliche Hand betrugen nur noch Fr. 416.80, die Krankenkasse musste nur noch Fr. 382.20 bezahlen – total 247 Franken weniger.
Der pensionierte Zürcher Stadtarzt Albert Wettstein ist Präsident der Zürcher Fachkommission der Unabhängigen Beschwerdestelle für das Alter. Er sagt zu diesem Fall: «Da es sich um eine öffentliche Spitex handelt, ist das Vorgehen erst recht verwerflich.» Die überhöhte Rechnung sei ein «klarer Verstoss gegen die vereinbarten Tarife». Für Barbara Gassmann von der schweizerischen Patientenorganisation (SPO) ist das Verhalten der Spitex «unverständlich».
Hohe Beträge für «Abklärungen»
Auch Barbara Furrer (Name geändert) machte schlechte Erfahrungen mit Spitex-Rechnungen. Die Spitex reinigte die Böden in der Wohnung ihrer Eltern. Als die Tochter die Rechnungen kontrollierte, bemerkte sie, dass der belastete Zeitaufwand stark schwankte. Für die Bodenreinigung berechnete die Spitex jeweils 65 bis 85 Minuten. Doch im September setzte die Spitex fast zwei Stunden ein für «Abklärung Haushilfe» zum Preis von Fr. 146.30. Dazu sagt Barbara Furrer: «Das steht in keinem Verhältnis zum Putzeinsatz.» Als sie reklamierte, drohte die Spitex, die Leistungen einzustellen, falls die Klientin die «gerechtfertigten Beträge» nicht überweise.
Experte Albert Wettstein sagt, ein so hoher Betrag für «Abklärung» wirke übertrieben und unvernünftig. Das sei nur bei einer komplexen Situation mit pflegerischen und sozialen Problemen gerechtfertigt. Barbara Furrer hat die Konsequenzen gezogen: Sie putzt die Wohnung ihrer Eltern jetzt selbst.
Barbara Gassmann empfiehlt Kunden, die ihre Rechnung nicht verstehen, bei der Spitex nachzufragen und eine detaillierte Abrechnung zu verlangen: «Die Kunden haben ein Recht darauf, dass ihnen jemand die Rechnung erklärt.» Wenn man das Gefühl hat, eine Rechnung sei nicht korrekt, soll man sich an die Krankenkasse oder an die Gemeinde wenden: «Diese leiden auch unter überhöhten Rechnungen.»
Allerdings ist das Kontrollieren der Rechnungen nicht einfach. Denn sie enthalten einige schwer verständliche Kürzel. In einer Tabelle trägt die Spitex alle geleisteten Arbeitsstunden ein. Das verwirrt viele Kunden. Denn die Spitex gibt die Arbeitszeit in der Industriezeit an. Die Angabe «0.50» bedeutet nicht 50 Minuten, sondern eine halbe Stunde. Und: In manchen Gemeinden beginnen die Spitex-Mitarbeiterinnen die Zeiterfassung nicht erst in der Wohnung, sondern bereits bei der Ankunft im Auto.
Die Spitex trägt die erbrachten Leistungen in vier separaten Zeilen ein:
PaBe heisst Patientenbeteiligung. Das ist der Anteil, den die Kunden selbst bezahlen müssen. In einigen Kantonen müssen die Kunden nichts bezahlen, in anderen 5, 8 oder 15.95 Franken pro Tag;
KLV A für Abklärung, Beratung und Koordination (Fr. 76.90 pro Stunde);
KLV B für Untersuchung und Behandlung (Fr. 63.– pro Stunde);
KLV C für die Grundpflege (Fr. 52.60 pro Stunde).
Die Spitex Embrachertal räumt ein, im letzten September sei es zu einer «Unregelmässigkeit» beim Erfassen der geleisteten Einsätze gekommen. Die Spitex habe den Fall schnell und kulant geregelt, sich bei Elisabeth Lienhard entschuldigt und mit der betroffenen Mitarbeiterin das Gespräch gesucht. Die Spitex bedauere dies. Es handle sich um einen Einzelfall.
Die Spitex Embrachertal erklärt weiter, sie habe sich stets an die kantonalen Tarife und an den Vertrag mit dem Krankenkassenverband Santésuisse gehalten. Sie habe bisher nie Reklamationen erhalten. Die Spitex habe nie mehr Zeit berechnet, als das Personal tatsächlich aufgewendet habe. Das Personal müsse auch den Verlaufsbericht lesen und die erbrachten Leistungen dokumentieren. Dies führe dazu, dass Spitex-Organisationen nicht nur die Zeit für die Hilfe bei der Körperpflege und beim Anziehen berechnen, sondern einige Minuten mehr. Zudem runde die Spitex den Zeitaufwand gemäss gültiger Praxis auf fünf Minuten.
Aufruf: Schicken Sie uns Ihre Spitex-Rechnungen
Haben Sie Erfahrungen mit der Spitex oder mit überhöhten Rechnungen? Schreiben Sie uns:
Redaktion Gesundheitstipp, «Spitex», Postfach, 8024 Zürich, redaktion@gesundheitstipp.ch