Jedes 50. Kind in der Schweiz entsteht durch künstliche Befruchtung. Ein Versuch im Labor kostet bis zu 10 000 Franken. Fortpflanzungsärzte fordern, dass Krankenkassen die Kosten übernehmen (Gesundheitstipp 12/2022). So sagt Alexander Quaas, Leiter des Basler Zentrums für Reproduktionsmedizin: «Ich fände es fair, wenn sich die Grundversicherung an der künstlichen Befruchtung beteiligen würde.» Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiere Unfruchtbarkeit «klar als Krankheit». Und andere Krankheiten behandle man ja auch. Was Quaas verschweigt: Es waren die Fortpflanzungsärzte, die daraus eine Krankheit machten.
Grosser Einfluss der Fortpflanzungsmediziner
Die WHO beschloss zwar 2009 an einem Meeting in Genf: Unfruchtbarkeit sei «eine Krankheit, definiert als Misserfolg schwanger zu werden nach mindestens zwölf Monaten regelmässigem, ungeschütztem Sex». Doch die die Behörde entschied das nicht unabhängig. Sie liess sich vom International Committee Monitoring Assisted Reproductive Technologies beraten. Dieses besteht aus Fortpflanzungsärzten, die es auch finanziell unterstützen. Das geht aus einem Dokument des Komitees hervor. Am Treffen beim Hauptsitz der WHO in Genf waren 72 Vertreter solcher Verbände dabei.
Die Zürcher Ethikerin Ruth Baumann-Hölzle sieht das kritisch: «Die Weltgesundheitsorganisation erweckt schon vom Namen her den Eindruck, sie werde allein durch die beteiligten Länder finanziert.» Daher geniesse die Organisation eine hohe Glaubwürdigkeit. «Der Einfluss der Lobbygruppen ist aber immens.» Die WHO sei intransparent, denn die Finanzierung erfolge hauptsächlich über Stiftungen und nicht über die Länder.
Fachleute vermuten, es sei den Fortpflanzungsärzten darum gegangen, neue Patientinnen zu finden. So schreibt der New Yorker Soziologe Arthur L. Greil in der Fachzeitschrift «Medical Anthropology Quarterly»: «Das war das Hauptziel dieser Definition.» Früher sei Unfruchtbarkeit ein privates Problem gewesen. Das Wort Krankheit signalisiere nun aber, dass unfruchtbare Paare von Fortpflanzungsärzten behandelt werden müssten. Baumann-Hölzle sagt, künstliche Befruchtung sei keine medizinisch notwendige Behandlung, sondern erfülle einen Herzenswunsch.
Damit nicht genug: Die WHO entschied auch, dass ein Paar schon nach einem Jahr ungewollter Kinderlosigkeit als unfruchtbar gilt. Vorher waren es noch zwei Jahre gewesen. Laut Soziologe Greil förderten Ärzteverbände in Europa und Amerika den kürzeren Zeitrahmen.
Unabhängige Fachleute machen Paaren Mut, abzuwarten. Franziska Wirz von der Beratungsstelle Appella rät jüngeren Paaren, sich zwei Jahre Zeit zu geben und dann einmal mögliche Ursachen abklären zu lassen. In der britischen Ärztezeitung «British Medical Journal» schrieben Fachleute: Ärzte würden die Paare immer rascher überreden, ein Baby im Reagenzglas zu zeugen. Viele hätten aber gute Chancen, auf natürlichem Weg ein Kind zu bekommen, wenn man ihnen Zeit lasse. Mehrere Studien zeigten: Frauen, bei denen die Ursache für die Unfruchtbarkeit nicht klar war, wurden oft nach zwei bis vier Jahren auf natürlichem Weg schwanger.
Fortpflanzungsmediziner Quaas schreibt dem Gesundheitstipp, der Sinn einer solchen Definition sei, Patienten, Ärzte und Krankenkassen «anzuweisen, zu welchem Zeitpunkt eine diagnostische Abklärung ratsam» sei. Nach einem Jahr Kinderwunsch hätten sieben von acht Paaren «das erwünschte Ziel erreicht». Er kenne viele Paare, die bereuten, nicht früher zu ihm gekommen zu sein.
Kinderwunsch: So steigen die Chancen
- Haben Sie an den fruchtbaren Tagen regelmässig Sex.
- Führen Sie ein Tagebuch über Ihre fruchtbaren Tage.
- Trinken Sie wenig Alkohol, rauchen Sie nicht.
- Bewegen Sie sich jeden Tag eine halbe Stunde.
- Setzen Sie sich nicht unter Druck, falls es nicht klappt.