Es ist der 12. November 2021. In einer Wohnung in Aesch BL beginnt der Tag friedlich. Xaver Berger hilft seiner Frau beim Anziehen und deckt den Frühstückstisch. Er selbst ist noch im Pyjama. Die beiden setzen sich. Gertrude Berger ist 87 Jahre alt und seit ein paar Tagen wieder zu Hause: Im Altersheim gefiel es ihr nicht.
Plötzlich klingelt es an der Tür. Als Berger öffnet, stehen ein Mann und eine Frau davor: Sie seien von der Kesb, der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde, und wollten kontrollieren, wie es Frau Berger gehe. Xaver Berger erschrickt. «Es geht ihr gut, wir brauchen nichts», sagt er und macht die Tür zu. Der 90-Jährige erzählt: «Nach zwei Minuten läutete es wieder. Diesmal standen zwei Polizisten da. Ich wollte die Tür schliessen, aber einer von ihnen schob seinen Fuss dazwischen, drängte mich in die Stube und drückte mich auf einen Stuhl.» Die zwei von der Kesb Birstal gehen in der Zwischenzeit mit seiner Frau in die Küche. «Nach einer halben Stunde kamen sie mit meiner Frau heraus und transportierten sie mit dem Krankenwagen ab.» Wohin, weiss Xaver Berger nicht. Erst später erfährt er: Sie ist in der psychiatrischen Klinik in Liestal.
Die Kesb schreitet ein, wenn eine Person medizinisch oder finanziell nicht mehr für sich sorgen kann. In diesem Fall hatte das Alterszentrum Im Brüel in Aesch eine Meldung gemacht. So steht es in den Unterlagen, die dem Gesundheitstipp vorliegen. Xaver Berger sei im Heim «bekannt wegen seiner aggressiven mündlichen Gewaltausbrüche». Mitarbeiterinnen hätten Angst vor ihm. Gertrude Berger könne sich gegen ihren Mann nicht wehren. Bei der Abklärung vom 12. November stellte die Ärztin den Antrag auf Einweisen in die Psychiatrie: eine sogenannte fürsorgerische Unterbringung. Frau Berger habe eine leichte kognitive Störung und sei depressiv. «Patientin gefährdet bei fehlender Versorgung im häuslichen Umfeld», begründet sie.
Berger: «Wir leben gern zusammen»
Doch das war nicht der Fall. Für die Körperpflege seiner Frau organisierte Xaver Berger die Spitex. Vorsorglich hatte er seine Ehefrau in einem anderen Heim angemeldet. Ausserdem wohnt Tochter Andrea von Samstag bis Dienstag bei den Eltern, wo sie kocht, wäscht und putzt. Er habe sich im Heim geärgert, als Besucher nur mit einer FFP2-Maske kommen durften, das Personal aber einfache Masken getragen habe. Ausgerufen habe er auch, als das Personal die frisch gewaschenen Kleider in die dreckige Wäsche gelegt habe. «Das hat aber nichts damit zu tun, wie ich mit meiner Frau umgehe», hält er fest. «Wir sind seit 60 Jahren verheiratet und leben gern zusammen.»
Fünf Tage nach dem Abtransport seiner Frau reichte Xaver Berger beim Kantonsgericht Beschwerde ein. Eine Woche später hob die Klinik die fürsorgerische Unterbringung per sofort auf. Heute lebt Gertrude Berger wieder zu Hause.
Das ist kein Einzelfall: Immer wieder gibt es Probleme mit der Kesb. Oft genügt eine einfache Gefährdungsmeldung eines Nachbarn oder Bekannten. Im Jahr 2019 kam es so in der Schweiz zu rund 15 000 Zwangseinweisungen. Am stärksten betroffen waren die über 80-Jährigen. Das schrieb das Juristenmagazin «Plädoyer» (5/2021). Vor der Kesb kann man sich schützen. Am besten holt man sich früh Hilfe, wenn man im Alltag Schwierigkeiten hat, etwa beim Bezahlen der Rechnungen. Am einfachsten ist es, wenn Angehörige oder Freunde dies übernehmen. Auch die Büro-Spitex oder der Treuhanddienst der Pro Senectute übernehmen solche Aufgaben. In vielen Gemeinden gibt es Altersbeauftragte oder Sozialdienste, die über weitere Angebote informieren.
Mit Vorsorgeauftrag für den Ernstfall gerüstet
Experten raten, einen Vorsorgeauftrag zu schreiben. Dort hält man fest, wer entscheiden wird, wenn man selbst nicht mehr urteilen kann. Diese Person regelt dann die Finanzen und stimmt medizinischen Massnahmen zu. Macht man das nicht, setzt die Kesb eine fremde Person als Beistand ein. Ruth Mettler Ernst von der Unabhängigen Beschwerdestelle für das Alter sagt: «Wer eine Vertrauensperson im Umfeld hat, kann diese als Vorsorgebeauftragte eintragen.» Der K-Tipp bietet ein Vorsorgepaket mit genauer Anleitung an (siehe Hinweis).
Die Kesb Birstal verweist auf ein Urteil des Kantonsgerichts, das die fürsorgerische Unterbringung als gerechtfertigt beurteilte und Xaver Berger die Kosten auferlegte. Sie räumt zwar ein, dass ein solcher Polizeieinsatz belastend sei. In diesem Fall sei es aber nötig gewesen, weil Xaver Berger nicht kooperativ gewesen sei: Er habe im Vorfeld die Unterstützung der Spitex «beharrlich verweigert» und einen Arzttermin seiner Frau nicht wahrgenommen. Beim Vorfall am 12. November 2021 habe Berger den Kesb-Ver-treter beschimpft «und musste von den Polizisten von einem tätlichen Angriff abgehalten werden». Er sei darüber informiert worden, wohin seine Frau gebracht worden war.
Hier finden Betroffene hilfe und Beratung
Beratung
- Kescha, Kescha.ch, Tel. 044 273 96 96 (Beratung für Menschen, die mit der Kesb zu tun haben)
- Unabhängige Beschwerde stelle für das Alter, Uba.ch, Tel. 0848 00 13 13 (ehrenamtliche Mitarbeiter unterstützen Betroffene im Umgang mit der Kesb)
- Pro Senectute, Prosenectute.ch, Tel. 044 283 89 89
- Pro Mente Sana, Promente sana.ch, Tel. 0848 800 858 (psychologische Beratung)
- Dargebotene Hand, www.143.ch, Tel. 143
- Organisation Graue Panther, Grauepanther.ch.
Administrative Unterstützung