Frau Brunner, eine neue Studie aus den USA zeigt: Tierärzte sind stark suizidgefährdet. Bringt der Beruf auch Sie an die Grenzen?
Ja, manchmal schon. Es kommt vor, dass ein Tier nach einem Eingriff leidet. Dann befürchte ich, dass ich falsch entschieden oder einen Fehler gemacht habe.
Haben Sie ein Beispiel?
Einmal konnte eine Hündin nach einem Kaiserschnitt nicht mehr Wasser lösen. Ich ging die Operation immer wieder in Gedanken durch und überlegte, ob ich etwas falsch gemacht hatte. Später stellte sich aber heraus, dass es an einem gequetschten Nerv lag.
Was hilft Ihnen in solchen schwierigen Situationen?
Ich bin zum Glück eine «Schwätzitante» und rede mit meinen Kollegen und Freundinnen über alles, was mich beschäftigt.
Die Studie begründet die Suizide auch damit, dass Tierärzte oft über Leben und Tod entscheiden.
Das stimmt. Aber Einschläfern sehe ich als letzten Gefallen, den ich dem Tier mache. Traurig ist es natürlich trotzdem. Ich musste auch schon weinen. Zum Beispiel, als ich einen Hund einschläferte, den ich schon lange kannte. Sein Besitzer ist ein alter Mann, der ohne Hund nicht mehr leben möchte.
Laut der Studie kommen lebensmüde Tierärzte leicht an tödliche Medikamente. Stimmt das?
Ja, wir haben leicht Zugang zu solchen Mitteln. Ob das zu mehr Suiziden führt, weiss ich aber nicht. Wir reden viel über den Tod, das ist für uns kein Tabuthema.
Haben Sie selber schon an Suizid gedacht?
Nein. Es geht mir gut.
Viele Tierärzte arbeiten gemäss der Studie isoliert. Sie können sich bei Problemen und Sorgen an niemanden wenden. Geht es Ihnen auch so?
Ja, wie viele meiner Kollegen habe ich eine Einzelpraxis. Das ist manchmal ein Problem. Dann wäre ich froh, wenn im Nebenzimmer eine Ärztin wäre, mit der ich reden könnte. Den fachlichen Austausch organisiere ich mir anders: über E-Mails und über mein Engagement im Verband der schweizerischen und europäischen Tierärzte.
Tierärzte haben lange Arbeitszeiten mit wenig Pausen. Wie gehen Sie mit dem Stress um?
Ich arbeite oft an Wochenenden und in der Nacht. Doch seit zwei Jahren leiste ich altershalber keine Notfalldienste mehr. Das entlastet mich sehr.
Sie sind seit über 30 Jahren Tierärztin. Was ist Ihr Rezept?
Ich geniesse die tollen Seiten meines Berufs in vollen Zügen – weiss aber auch, dass in der Tiermedizin nicht alles möglich ist. Ich wurde Tierärztin, weil ich Tiere retten wollte. Das geht aber nicht immer und das muss ich akzeptieren. Etwa, wenn ich ein Tier mit Krebs noch bestrahlen könnte, der Halter das aber nicht will oder das Geld nicht aufbringen kann.
Zur Person: Käthi Brunner
Die 62-jährige Baslerin ist seit 1983 Tierärztin. In ihrer Praxis in Münchenstein BL behandelt sie vor allem Katzen, Hunde und Nager. Sie hat selbst Katzen, Meerschweinchen und Kaninchen. In der Freizeit wandert sie, geht ins Fitnessstudio und besucht Konzerte.