Der Blitz traf Sie vor zwei Jahren beim Wandern auf der Insel Mallorca. Wie kam es dazu?
Der Blitz schlug in die Ruine ein, wo wir Schutz vor dem Gewitter suchten. Wir glaubten, wir seien dort sicher – ein Trugschluss.
Wie fühlte es sich an, als der Blitz Sie traf?
Ich kann mich nicht mehr erinnern. Ich verlor sofort das Bewusstsein. Irgendwann machte ich die Augen auf, lag am Boden und konnte mich nicht mehr orientieren. In meinem Kopf brummte es, in den Ohren rauschte es. Meine Muskeln zuckten und ich konnte mich weder bewegen noch sprechen.
Hatten Sie Schmerzen?
Ja, aber erst etwas später. Ich hatte kein Zeitgefühl mehr. Es fühlte sich an, als würde ich innerlich brennen.
Haben Sie noch Beschwerden?
Ja. Ich habe ständig Schmerzen, mal mehr, mal weniger. Ich spüre sie in den Händen und Schultern. Denn die elektrische Ladung des Blitzes hat die Nerven beschädigt.
Beeinträchtigt Sie das im Alltag?
Es gibt Tage, da habe ich Mühe zu arbeiten. Nach dem Unfall musste ich mich öfters hinlegen oder ein heisses Bad nehmen. Das linderte die Schmerzen.
Vor dem Unfall machten Sie aus Naturstein Skulpturen, bauten Terrassen und Mauern. Geht das noch?
Glücklicherweise ja. Früher war mir oft schwindlig, nun fast nicht mehr. Ich habe manchmal Gedächtnislücken. Bestimmte Wörter fallen mir nicht mehr ein. Ich lese darum viel, das nützt.
Was gibt Ihnen Kraft, die Schmerzen zu ertragen?
Die Natur und meine Arbeit. Bei der Arbeit kann ich meine Kreativität ausleben. Wenn ich mich stark konzentriere, verschwinden auch die Schmerzen.
Glauben Sie an die Kraft der Gedanken?
Ja. Ich fühle mich jetzt viel besser, Ich konnte die Schmerztabletten stark reduzieren. Nach dem Blitzeinschlag sah ich uralt aus und nahm 10 Kilo ab. Viele sagen, dass ich nun wieder jünger und gesund aussehe. In einem Jahr will ich ohne Schmerzen leben.
Was hat sich in Ihrem Leben verändert?
Ich schätze es mehr und rege mich weniger auf. Ich bin dankbar, dass ich den Unfall überlebt habe und mich noch bewegen kann.
Wagen Sie sich bei einem Gewitter noch nach draussen?
Ja, ich gehe oft wandern. Das war schon früher so. Aber wenn es über mir blitzt und donnert, verkrieche ich mich. Nur mit dem Fischen habe ich aufgehört. Ich habe Probleme mit den Schultern. Zudem macht mir das Töten der Fische nun Mühe. Denn ich habe mehr Respekt vor dem Leben.
Zur Person: Jürg Bertolutti
Der 55-Jährige aus Steinhausen ZG ist Kunsthandwerker und arbeitet mit Naturstein. Mit seinem Zwillingsbruder besitzt er ein eigenes Geschäft. Nebst Wandern, und Fossiliensuchen liest er gern Sachbücher. Er schnitzt Skulpturen und malt. Am 15.9.2017 traf ihn der Blitz beim Wandern auf Mallorca (E). Andere Touristen alarmierten die Rettungskräfte.