Anastasia Lifsic liess sich vor sechs Jahren die inneren Schamlippen verkleinern: «Sie waren sehr gross und schmerzten mich oft.» Nach zwei Geburten sei es noch schlimmer geworden. Die 30-Jährige aus dem Kanton Aargau konnte kaum noch enge Hosen oder Shorts tragen. Auch beim Velofahren und beim Sex hatte sie Probleme. Bis sie sich operieren liess.
Die Zahl der Eingriffe im Intimbereich steigt, bestätigen Fachleute. Ärztin Rosmarie Adelsberger von der Zürcher Klinik Pyramide sagt: «Es ist weltweit die am schnellsten wachsende Sparte der ästhetischen Chirurgie.» Die meisten ihrer Patientinnen seien Ende Dreissig. Am häufigsten würden Fachleute die inneren Schamlippen verkleinern. Sie polstern aber auch Venushügel auf oder straffen die Scheide – zum Beispiel nach einer Geburt (siehe Tabelle).
Laut dem Fachverband für plastische und ästhetische Chirurgie steht die Intimchirurgie in Deutschland auf Platz fünf der häufigsten Schönheitsoperationen. Zuverlässige Zahlen aus der Schweiz gibt es nicht. Doch auch hier sind solche Operationen möglich. Arzt Nikolaus Linde in St. Gallen führt sie «aufgrund hoher Nachfrage» durch, wie er auf seiner Website schreibt. Das «Prevention Center» in Zürich verspricht, dass ein Eingriff «zu einer selbstbestimmten, genussvolleren Sexualität verhelfen» könne.
Das zeigt: Körperliche Beschwerden wie bei Anastasia Lifsic sind nicht immer der Grund für einen Eingriff im Intimbereich. Dies treffe nur bei etwa jeder dritten Verkleinerung der Schamlippen zu, sagt Oliver Scheufler, Plastischer Chirurg an der Aare-Klinik in Bern. «Es geht vielen Frauen darum, das Aussehen ihres Intimbereichs zu optimieren», so Scheufler. Denn dieser ist besser sichtbar, seit viele Frauen die Schamhaare teilweise oder ganz entfernen. In einer Umfrage der deutschen Gesellschaft für Intimchirurgie taten dies fast alle der gut 100 Teilnehmerinnen im Alter von 16 bis 64. Doch der Blick auf die freigelegte Scham überforderte viele. Fast die Hälfte von ihnen beurteilte ihre Vulva als «nicht so schön» oder gar «hässlich».
Fachleute kritisieren die vermeintliche Idealvorstellung, geprägt von Bildern in Medien und Pornografie. Sie suggerieren, dass die inneren Schamlippen möglichst klein und von den äusseren bedeckt sein sollen. Dabei sei dies keineswegs normal, betont die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe in ihrem Expertenbrief zur Intimchirurgie. Frauenärztinnen sollten ihre Patientinnen über «die grosse Vielfalt der äusseren Genitale» aufklären und sie vor «unnötigen Operationen bewahren».
Besondere Vorsicht sei bei Operationen angebracht, die besseren Sex versprechen, so die Gynäkologen-Gesellschaft. Dazu gehört das Aufspritzen des G-Punkts mit Hyaluronsäure. Kliniken bieten dies auch als «G-Shot» an. Er soll bessere Orgasmen bewirken. Die Methode sei allerdings umstritten, sagt Arzt Oliver Scheufler. Es gebe keine zuverlässigen Daten, die belegen, dass Operationen im Intimbereich die Sexualität langfristig verbessern. «Sie können allenfalls helfen, Scham- und Minderwertigkeitsgefühle abzubauen, die ein erfülltes Sexualleben hemmen», sagt Scheufler.
Der Berner Paartherapeut und Autor Klaus Heer warnt davor, die Lösung für sexuelle Probleme mit dem Skalpell zu suchen: «Glückliche Sexualität hat nichts mit einem verschönerten Intimbereich zu tun.» Sie entstehe durch Hingabe und Entspannung. Zudem überschätzten unsichere Frauen oft, welche Rolle das Aussehen ihres Geschlechts für Männer spiele.
Motive und Ziele hinterfragen
Franziska Wirz von der Beratungsstelle Appella ergänzt: «Frauen sollten sich der Risiken solcher Eingriffe bewusst sein.» Dazu gehören Nachblutungen, Infektionen oder Probleme beim Verheilen der Wunde. In seltenen Fällen könne es zu dauerhaften Schmerzen oder Narben kommen, sagt Ärztin Rosmarie Adelsberger.
Die Operation von Anastasia Lifsic verlief ohne Probleme. Die ersten drei Tage benötigte sie Schmerzmittel und die Schamlippen waren anfangs stark geschwollen. Mit dem Resultat ist sie aber zufrieden: «Es sind keine Narben sichtbar und die Sensibilität ist genauso gut wie vorher.» Vor allem: Lifsic hat keine Schmerzen mehr.
Fachleute empfehlen, sich gut zu informieren, bevor man einen Eingriff ins Auge fasst. Insbesondere sollte man seine Motive und Ziele hinterfragen. Bei unrealistischen Erwartungen rät Adelsberger vom Eingriff ab. Ebenso, wenn der Druck vor allem vom Partner komme. Auch Oliver Scheufler prüft die Motive seiner Patientinnen gut: «Stehen psychische Probleme im Vordergrund, die sich durch einen Eingriff nicht beheben lassen, lehne ich ab.»