Morgens ein Sonnengruss nach dem Aufstehen, mittags die Übungen gegen den verkrampften Nacken und abends eine längere Einheit zum Entspannen – im Internet findet man Yogavideos für jedes Bedürfnis. Das Prinzip von Internet-Yogakursen: Der Kunde kauft sich ein Abo und kann auf die Videos zugreifen – egal wo, egal wann und sooft er möchte. Doch ein Vergleich des Gesundheitstipp zeigt: Die meisten Yogastudios weisen zu wenig auf Verletzungsrisiken hin.
Der Gesundheitstipp liess fünf Internet-Yogastudios von drei Experten vergleichen: von der Zürcher Sporttherapeutin und Yogalehrerin Iris Keller, vom Präsidenten des Schweizer Yogaverbands Roland Haag aus Amriswil und von der Yogalehrerin Cordelia Kreft aus Zürich. Die Experten bewerteten, wie kundenfreundlich die Studios sind, wie vielfältig und gross ihr Angebot an Videos ist und inwieweit die Kunden vor Verletzungsrisiken geschützt werden. Denn wer Übungen über längere Zeit falsch mache, riskiere Verletzungen, so Roland Haag – unter anderem Zerrungen, Nacken- und Schulterverspannungen oder überlastete Knie.
Roland Haag: «Die Lehrperson kann nicht wie in einem Präsenzkurs überprüfen, ob die Übungen korrekt ausgeführt werden.» Es ist daher wichtig, dass Online-Yogastudios Kunden im Video auf mögliche Fehler hinweisen oder Personen mit bestehenden Beschwerden von Übungen abraten.
Separate Videos mit Fokus Fehlhaltungen
Im Vergleich mit anderen Studios klären Perfectyoga und Onlineyoga.ch am wenigsten über Verletzungsrisiken auf: In einzelnen Videos weisen die Lehrpersonen zwar darauf hin, wie Fehlhaltungen vermieden werden. Generelle Informationen zu Verletzungsrisiken findet man jedoch nicht. Yogamehome klärt die Kunden zwar im Allgemeinen über Verletzungsrisiken auf. In den Videos selber würden die Lehrer aber eher weniger darauf hinweisen, so Cordelia Kreft und Iris Keller. Dafür beschäftigen sich mehrere Videos explizit damit, wie man Fehlhaltungen wie etwa ein Hohlkreuz vermeidet. «Das ist super», findet Keller. Aber: «Es wäre schön, wenn Yogamehome auch Videos für weniger bewegliche Menschen wie zum Beispiel Senioren anböte.»
Das Studio Gaia blendet in einigen Videos Warnhinweise ein. Beispiel: «Vermeiden Sie übermässigen Kraftaufwand und zu hohe Anstrengungen, um das Verletzungsrisiko zu reduzieren.» In manchen Videos wird zu Beginn erwähnt, wenn sich die Übungen nicht für alle eignen – etwa für Leute mit Rückenbeschwerden. Im Video «Easy Hüften» sagt ein Gaia-Yogalehrer: «Wenn du Hüftprobleme hast, ist das vielleicht nicht die richtige Übung für dich.» Allgemeine Hinweise finden sich aber auch hier nicht.
Auch bei Yogaeasy werde in den Videos nicht ausreichend auf Verletzungsrisiken eingegangen, sagt Kreft. Sporttherapeutin Iris Keller findet zudem, dass einige Übungen in den Anfängervideos zu schwierig sind: «Schön wäre es, wenn vereinfachte Varianten gezeigt würden. Insbesondere wenn mehrere Personen im Video zu sehen sind.»
Yogaeasy thematisiert Risiken in einem Blog
Yogaeasy zeigt aber, dass es auch anders geht. Auf dem eigenen Blog findet man mehrere Artikel, in denen es um typische Verletzungen beim Yoga geht. So könne der Lotussitz zu Knieschmerzen führen. Dabei sitzt man mit gekreuzten Beinen. In einem weiteren Artikel geht der Blog auf Risiken bei bestimmten Übungen ein. So sollten Personen mit grünem Star den Schulterstand vermeiden. Denn das Herz ist dabei höher positioniert als der Kopf, was den Augendruck erhöhe. Der Schulterstand wird auch Kerze genannt – dabei werden die Beine senkrecht in die Höhe gestreckt, während man den Rücken mit den Händen stützt. Roland Haag: In einem Präsenzkurs könne die Lehrperson direkt auf solche Probleme hinweisen und den Unterricht den Bedürfnissen der Teilnehmenden anpassen.
Irritierend ist, dass einige Internetstudios explizit Anfänger anwerben. So bewirbt Perfectyoga auf seiner Startseite «speziell konzipierte Kurse für Einsteiger». Jedoch scheint etwa das Video «Hatha Yoga für Einsteiger – Mobilisation» für Anfänger ungeeignet zu sein: Die Seite bietet die Möglichkeit, zu jedem Video Kommentare abzugeben. In den Kommentaren zum Video machen mehrere Nutzer ihrem Unmut Luft. Julia426 schreibt: «Als Anfängerkurs wird hier eine Mobilität und Beweglichkeit vorausgesetzt, die für mich absolut demotivierend war.» Und Tina307 schreibt: «Ich finde den Kurs für Anfänger viel zu schwierig. Es wären Variationen schön gewesen und Erklärungen zu grundsätzlichen Übungen.»
Die Einschätzung der Experten: Internet-Yogastudios eignen sich nicht für jeden. «Ich empfehle die Online-Lektionen nur gesunden Leuten mit Yogaerfahrung», sagt Iris Keller. Anfängern rät die Sporttherapeutin davon ab: «Die Instruktion kann noch so gut sein, wenn die Person ein ungenügendes Körpergefühl hat, können Verletzungen die Folge sein. Deshalb sollten Anfänger zuerst einen Yogakurs besuchen, wo sie von der Lehrperson korrigiert werden.» Auch Personen mit gesundheitlichen Beschwerden rät sie zur Yogalektion vor Ort – allenfalls sogar vorgängig zu einem Arztbesuch. Roland Haag empfiehlt Internetlektionen ebenfalls höchstens Fortgeschrittenen: «Online-Kurse können den Präsenzunterricht nicht ersetzen, sondern im besten Fall ergänzen.»
Beim Videoangebot sind Gaia und Yogaeasy top
Punkto Videoangebot und Kundenfreundlichkeit schnitten alle Studios besser ab. Bei allen kann man Videos anhand nützlicher Kriterien wie etwa Schwierigkeitsstufe und Dauer suchen. Besonders überzeugt hat die Experten das grosse und vielfältige Angebot von Yogaeasy und Gaia. Bei Yogaeasy können die Kunden zwischen zehn verschiedenen Yogastilen, vier Schwierigkeitsstufen, zahlreichen Lehrpersonen und Angeboten speziell für Schwangere und Senioren auswählen. Bei den Yogastilen handelt es sich um verschiedene Varianten, die im Laufe der Jahre entstanden sind – zum Beispiel Hatha Yoga oder Yin Yoga.
Gaia bietet neben Yogavideos auch Dokus und Filme an. Zudem können zwei Personen das Abo nutzen. Bei Yogamehome würden Neukunden aber besser eingeführt, so die Experten. Und Perfectyoga punktet als günstigstes Studio mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis. Onlineyoga.ch ist mit 29 Franken pro Monat das teuerste Studio mit dem kleinsten Angebot. «Die Seite bietet keinen Mehrwert im Vergleich zu den günstigeren Studios», so Cordelia Kreft.
Positiv sei die lange Gratistestzeit von 14 Tagen. «Das ist grosszügig und angemessen», so Haag. Die anderen Studios kann man nur sieben Tage kostenlos testen. Weniger kundenfreundlich sei der automatische Übergang zu einem Abo, wenn man nicht innerhalb der Testperiode kündigt. Dies ist auch bei Perfectyoga und Gaia der Fall.
Kombiniert mit einem echten Yogakurs sinnvoll
Cordelia Kreft rät zu einer Kombination von echtem Yogastudio und Internetstudio: «Fühlt man sich sicher, motiviert ein Onlinekurs dazu, regelmässiger zu üben.» So könne man einmal wöchentlich einen Kurs besuchen und zusätzlich ein Internetangebot buchen. Im Kurs lerne man, Fehlerquellen einzuschätzen. Auch die eigenen Vorlieben spielen eine Rolle: «Die einen können sich zu Hause besser konzentrieren, die anderen brauchen die Sicherheit durch eine anwesende Lehrerin und die Motivation durch die Gruppe.»
Perfectyoga teilt dem Gesundheitstipp mit, man wolle den Trainingsfluss nicht durch Sicherheitshinweise stören. Man arbeite nur mit erfahrenen Lehrpersonen zusammen und lasse die Videos von Physiotherapeuten und Sportwissenschaftern prüfen. Werde der Schwierigkeitsgrad eines Videos bemängelt, passe man die Beschreibung an. Das erwähnte Anfängervideo sei Teil einer Kursreihe.
Onlineyoga.ch hat reagiert und stellte einen medizinischen Hinweis auf die Website. Bei schweizerdeutschen Videos handle es sich um ein Nischenprodukt, man könne preislich nicht mit grösseren Plattformen mithalten. Zudem wolle man die ausgebildeten Yogalehrerinnen angemessen entlohnen.
Yogamehome schreibt, man verzichte bewusst auf verletzungsanfällige Yogastile und -übungen. Die Lehrpersonen würden darauf hinweisen, nur so weit in eine Übung zu gehen, wie es sich gut anfühle. Und im Anfängerbereich würden die Übungen sehr detailliert erklärt. Zudem arbeite man mit Ärzten und Physiotherapeuten zusammen. Videos für Senioren seien in Planung.
Yogaeasy sagt, man habe begonnen, bei den Videos auf Artikel hinzuweisen, in denen es um Risiken geht. Zudem arbeite man nur mit erfahrenen Lehrpersonen. Rückmeldungen über zu schwierige Übungen prüfe man und passe die Einstufung des Videos an. Die US-amerikanische Plattform Gaia äusserte sich nicht.
So vermeiden Sie Verletzungen
- Vergleichen Sie sich nicht mit anderen. Gehen Sie bei den Übungen nur so weit, wie Sie können.
- Zwingen Sie sich nicht in Positionen, die Ihnen unangenehm sind oder Schmerzen bereiten. Wählen Sie stattdessen eine einfachere Variante.
- Ist Ihnen das vorgegebene Tempo zu schnell, machen Sie die Übungen lieber in Ihrer eigenen Geschwindigkeit.
- Als Anfänger und bei gesundheitlichen Beschwerden wie zum Beispiel Rücken- oder Gelenkschmerzen besuchen Sie besser einen Präsenzkurs.
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