Experten kritisieren seit Jahren die Bedingungen in der Untersuchungshaft. Machen diese krank?
Das ist möglich. Etliche Insassen entwickeln Beschwerden.
Warum?
In Untersuchungshaft kann jeder kommen, ob schuldig oder nicht. Ich betreute Männer, die noch kurz zuvor mit der Familie gefrühstückt hatten. Stunden später waren sie eingesperrt, fremdbestimmt und komplett isoliert.
Das erleben viele Betroffene zum ersten Mal.
Entsprechend verzweifelt sind sie. Zudem ist oft unklar, wie lange das Ganze dauert. Das schafft ein grosses Ohnmachtsgefühl.
Wie reagieren sie darauf?
Das ist sehr unterschiedlich. Einige werden wütend, andere depressiv, oder sie entwickeln ein körperliches Leiden wie Bauchweh. Insassen kommen vor allem mit solchen Beschwerden zu mir. Und dann gibt es traumatisierte Personen – häufig sind es Migranten, die viel Gewalt erlebt haben. Das sind auch für mich belastende Situationen.
Inwiefern?
Die Insassen können sehr fordernd und ausfällig werden. Im letzten Jahr hatte ich über längere Zeit mehrere schwierige Patienten. Ich fühlte mich mehr und mehr müde und erschöpft. Irgendwann wurde ich nur schon aggressiv, wenn ein Patient das Behandlungszimmer betrat. Mir war klar: So konnte es nicht weitergehen.
Was taten Sie?
Ich sagte meinem Chef, dass ich auf eine ungute Situation zusteuere. Er reagierte sofort. Andere im Team übernahmen die schwierigen Patienten. Darauf liessen meine Anspannung und die Erschöpfung nach. Trotzdem war ich von meiner Reaktion überrascht.
Warum?
Ich war erstaunt, dass mich all das emotional so erschöpft hatte. Von meinen Einsätzen bei der Feuerwehr und in Kriegsgebieten wie Afghanistan und Irak wusste ich: Ich bin krisenerprobt. Mich haut es nicht so schnell aus den Socken.
Trotzdem waren Sie überfordert.
Ja. Das einzugestehen, war nicht einfach. Heute weiss ich: Ungute Gefühle lassen sich nicht über längere Zeit unterdrücken oder aussitzen. Das macht auf Dauer krank.
Was half Ihnen?
Mit Arbeitskollegen sprach ich offen über meine Gefühle. Sie wussten, wovon ich spreche. Das brachte mir Erleichterung. Ebenfalls wichtig in solchen Momenten: Man sollte sich Gutes tun.
Was heisst das?
Ich meditiere und mache Atemübungen. Zudem achte ich darauf, dass ich genug schlafe und meine Muskeln trainiere. Was besonders gut tut: Ich spiele jetzt Klavier. Damit erfülle ich mir einen Kindheitstraum.
Zur Person
Henning Krause ist Arzt im Untersuchungsgefängnis Waaghof in Basel. Der gebürtige Deutsche arbeitete zuvor bei der Hamburger Feuerwehr. Später begleitete er die Bundeswehr bei Auslandeinsätzen etwa in Afghanistan und im Irak.