Vergangenes Jahr rückten Retter bei rund 1500 Bergwanderern aus, die in Not geraten waren. Im Jahr 2019 waren es noch knapp 1200. Das zeigt die Statistik des Schweizer Alpen-Clubs. Für diese hohe Zahl gibt es verschiedene Gründe. Einer davon ist die falsche Schuhwahl. So stellte die Beratungsstelle für Unfallverhütung fest: «Die meisten Unfälle passieren durch Ausrutschen, Stolpern oder Stürzen.» Die Folge sind meist Verletzungen an Unterschenkeln und Sprunggelenken.
Schuhe von Wanderern geprüft
Eine Stichprobe des Gesundheitstipp auf mehreren Wanderrouten zeigt nun: Viele Berggänger sind auf den zum Teil unebenen, zerklüfteten und stark ansteigenden Pfaden mit Schuhen unterwegs, die für solche Wege völlig ungeeignet sind. Bei der Stichprobe des Gesundheitstipp prüfte der Walliser Wanderleiter Beat Truffer auf sechs Bergrouten mit unterschiedlich hohem Schwierigkeitsgrad das Schuhwerk von insgesamt 27 Wanderinnen und Wanderern.
Eine der Routen ist die Wanderung von der Bergstation Holzegg hinauf zum Grossen Mythen auf 1899 Meter über Meer im Kanton Schwyz. Dort kommt es oft zu Unfällen. Am Rand dieses steilen Wegs geht es zum Teil fast senkrecht in die Tiefe. Die Route ist mit dem Schwierigkeitsgrad T3 gekennzeichnet, es gibt exponierte Stellen mit Absturzgefahr.
Turnschuhe ohne Profil trotz steilem Weg
Am Tag der Stichprobe im August schieben sich immer wieder Wolken vor die Spitze des Grossen Mythen. Das Wetter soll bald umschlagen. Doch das kümmert die Wanderer, die an diesem Tag auf der Route unterwegs sind, offensichtlich nicht: Drei von fünf Personen tragen beim Aufstieg Turnschuhe, deren Profil kaum Halt gibt. Eine 38-jährige Touristin sagt, sie habe nur diese Schuhe im Gepäck. Ihre 43-jährige Begleiterin aus der Schweiz erklärt, ihre Turnschuhe seien bequemer als ihre Wanderschuhe. Und ein 30-jähriger St. Galler sagt, er habe am Vortag Wanderschuhe kaufen wollen, aber das gewünschte Modell nicht gefunden. «Es ist ein grosses Sicherheitsrisiko, nur in Turnschuhen auf den Grossen Mythen zu wandern», sagt dazu der Wanderexperte Beat Truffer.
Wanderung zum Aescher: Trittsicherheit nötig
Im Appenzeller Alpsteingebiet sind in diesem Sommer bereits fünf Wanderer tödlich verunglückt. Der Weg vom Aescher nach Wasserauen ist auch deshalb so beliebt, weil er zum idyllischen Seealpsee führt. Laut dem Internetportal Wegwandern.ch sind auf dieser T3-Wanderung Trittsicherheit und Schwindelfreiheit zwingend. Denn der Bergweg ist zum Teil sehr steil, es gibt mehrere exponierte Stellen. Und doch sind am Tag der Stichprobe zwei von fünf befragten Wanderern in Turnschuhen unterwegs. Einer der Berggänger trägt Trekkingschuhe mit schlechtem Profil – diese seien halt bequem, gibt er als Begründung an. Wanderleiter Beat Truffer kann diese Schuhwahl nicht verstehen – das sei auf Wegen wie im Alpstein «grobfahrlässig». Solche Wanderungen sollten laut dem Experten nur erfahrene Berggänger mit festen Wanderschuhen in Angriff nehmen.
Auch auf dem Sherlock-Holmes-Weg, der von Meiringen BE über Willigen, und Zwirgi zurück nach Meiringen führt, sind zwei von fünf Wanderern in Turnschuhen unterwegs. Ein 38-jähriger Deutscher trägt sogar nur Sandalen. Er kommt aus Jena in Deutschland und begründet seine Schuhwahl damit, dass der Aufenthalt in der Schweiz nicht geplant gewesen sei. Er habe zunächst direkt nach Italien fahren wollen. Der Sherlock-Holmes-Weg in Meiringen ist zwar eine T2-Wanderung. Trotzdem rät Beat Truffer auch für diese Route zu mittelhohen Wanderschuhen. «Sandalen und Turnschuhe sind hier ungeeignet und bergen ein erhöhtes Verletzungsrisiko», urteilt der Fachmann. Zudem müsse man sich bewusst sein, dass sich der Schwierigkeitsgrad eines Wanderweges stark erhöhen könne, wenn zum Beispiel ein Gewitter Regen bringe und der Weg dadurch rutschig werde. Generell empfiehlt Truffer, eine möglichst gute Wanderausrüstung zu wählen. «Für den Fall, dass das Wetter umschlägt oder die Bedingungen schlechter sind als erwartet, ist eine Sicherheitsreserve von Vorteil.»
Ältere sind oft besser ausgerüstet als Junge
Nichts zu bemängeln hat der Experte bei den Schuhen von fünf Wanderern im Tösstal, die als Ziel das Schnebelhorn angeben, den mit 1292 Meter über Meer höchsten Berg im Kanton Zürich. Der Weg hat die Schwierigkeitsstufe T2. Alle befragten Wanderer sind über 70 und oft in den Bergen. Einige von ihnen erzählen, sie hätten zu Hause drei verschiedene Paar Wanderschuhe und würden für ihre Touren das jeweils passende Modell wählen. «Es überrascht mich positiv, wie gut diese Wanderer ausgerüstet sind», sagt Truffer. Ältere Leute mit viel Wandererfahrung seien oft umsichtiger als jüngere Wanderer und Touristen.
Die Berggänger, die am Tag der Stichprobe zur Dossenhütte im Kanton Bern und zum Rotsteinpass im Alpsteingebiet wandern, sind laut dem Experten ebenfalls gut ausgerüstet. Beide Touren sind T4-Wanderungen: Auf solchen Routen gibt es oft keine Wegspur, zum Teil braucht man zum Vorwärtskommen die Hände. Das Resultat auf diesen Routen erstaunt Beat Truffer nicht: «Bei T4-Wanderern spürt man grundsätzlich einen grossen Respekt vor den Bergen. Dieser fehlt bei T3-Wanderern leider häufig.»
Kauftipps für Wanderschuhe
- Kaufen Sie Wanderschuhe in einer Grösse, die eine Nummer über jener Ihrer normalen Schuhe liegt. Vor den Zehen sollte ein Daumen breit Platz sein.
- Wählen Sie Schuhe mit hohem Schaft, damit Sie einen guten Halt haben.
- Achten Sie auf die Stabilität der Wanderschuhe. Sie sollten seitlich nicht biegbar sein und beim Biegen vorn nicht allzu weich.
- Wählen Sie wasserdichte Schuhe mit verschweissten Nähten. Sie sollten zudem atmungsaktiv sein und Schmutz abweisen.
- Achten Sie auf das Profil der Schuhe. Es sollte ausgeprägt und tief sein. Von Vorteil sind Schuhe mit einer Vibram-Sohle.