Sie reisten durch 20 Länder in 12 Monaten. Sagten Sie nie: «Es ist zu anstrengend, wir fahren nach Hause»?
Nein, aber ich hatte Tiefs. In Vietnam infizierte ich mich mit dem Denguefieber. Ich hatte auch einen Ausschlag am ganzen Körper – und grosse Angst.
Warum?
Infektionen können einen MS-Schub auslösen. Das passierte zum Glück nicht. Ich blieb drei Wochen im Hotelzimmer in Hanoi, bis die Symptome abgeklungen waren.
Hatten Sie nie einen Schub?
Doch, nachdem wir vom kühlen Neuseeland nach Mexiko gereist waren. Der Flug war lang, dazu kam die Zeitverschiebung. In der Karibik war es feucht und heiss. Am vierten Tag in Playa del Carmen kribbelte es morgens in einem Bein und ein Arm war taub. Ich wusste sofort, was los war.
Wie haben Sie reagiert?
Ich wollte nicht zum Arzt. Es schien mir zu kompliziert, alles zu erklären. Ich blieb im klimatisierten Zimmer und wir gönnten uns drei Wochen Pause. Dann reisten wir nach Kolumbien. Dort war es kühler und es ging aufwärts mit mir.
Hatten Sie keine Medikamente dabei?
Doch, eine Jahresration Tabletten. Ich muss sie morgens und abends nehmen. Wegen der grossen Menge hatte ich für die Grenzübertritte ein Attest in Englisch und Spanisch. Gebraucht habe ich es nie.
Konnten Sie denn den Rest der Reise geniessen?
Nicht gleich. Einige Zeit später, in Ecuador, hatte ich noch eine Lebensmittelvergiftung und lag vier Tage im Bett. Danach kam sofort der nächste MS-Schub, doppelt so stark wie der in Mexiko. Ich spürte Hände und Füsse nicht mehr, ich musste ins Spital. Nach drei Tagen Therapie mit Kortison ging es mir besser.
Wie war das für Ihren Partner?
Das Schwierigste war wohl, dass er mir nicht helfen konnte. Er sah, wie es mir ging und wie ich weinte.
Doch er hilft mir immer wieder aufzustehen und spornt mich an. Über diesen Rückhalt bin ich glücklich.
Weshalb gingen Sie auf Reisen?
Ich lerne gern andere Kulturen kennen. Und ich musste die Weltreise machen, solange ich fit bin. Ich bin stolz, dass ich es geschafft habe.
Wie geht es Ihnen heute?
Ich arbeite wieder Vollzeit. Leider erlitt ich vor ein paar Wochen einen besonders heftigen Schub. Mittlerweile sind zwar nur noch die Hände taub. Ich weiss aber nicht, ob das Gefühl zurückkommt. Die Ärzte sagen: Ist es in einem Jahr noch so wie jetzt, bleibt es für immer.
Hat Sie das erschreckt?
Natürlich. Doch ich versuche, positiv zu bleiben: Bis jetzt habe ich mich immer wieder vollständig erholt. Selbstmitleid bringt nichts. Ich versuche immer vorwärtszublicken und das Leben so zu nehmen, wie es kommt.
Zur Person: Lucile Zünd
Die St. Gallerin hat Multiple Sklerose, seit sie 19 Jahre alt ist. Reisen bedeutet für sie Freiheit, und in der Natur tankt