Impfzwang durch die Hintertüre
Bisher konnten Eltern selbst entscheiden, wogegen sie ihr Kind impfen lassen. Doch jetzt gibt es für Masern, Mumps und Röteln kaum noch Einzelimpfstoffe. Eltern sind verärgert.
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Gesundheitstipp 6/2003
11.06.2003
Sonja Marti - smarti@pulstipp.ch
Luce D'Agostino ist wütend. Für ihre beiden Söhne will sie nur das Beste - auch beim Impfen. «Ich wollte Simone nur gegen Masern und später gegen Mumps impfen lassen», erzählt sie. Doch ihr Kinderarzt konnte keinen Einzelimpfstoff auftreiben und empfahl die kombinierte Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln. D'Agostino: «Für meine Kinder kommt das nicht in Frage. Simone neigt zu Allergien. Ich möchte sein Immunsystem nicht mit einer Dreifachimpfung belasten.» Sie fordert: «Die Behö...
Luce D'Agostino ist wütend. Für ihre beiden Söhne will sie nur das Beste - auch beim Impfen. «Ich wollte Simone nur gegen Masern und später gegen Mumps impfen lassen», erzählt sie. Doch ihr Kinderarzt konnte keinen Einzelimpfstoff auftreiben und empfahl die kombinierte Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln. D'Agostino: «Für meine Kinder kommt das nicht in Frage. Simone neigt zu Allergien. Ich möchte sein Immunsystem nicht mit einer Dreifachimpfung belasten.» Sie fordert: «Die Behörden sollen dafür sorgen, dass Eltern weiterhin wählen können, wie sie ihr Kind impfen.»
Tatsächlich verschwanden innerhalb des vergangenen Jahres fünf von sieben Einzelimpfstoffen vom Markt. Für Mumps gibt es bereits keinen mehr. Für Masern ist ab Sommer wieder ein einziger verfügbar, ein Impfstoff gegen Röteln ist auch zurzeit erhältlich.
Das BAG wirbt für die Kombi-Impfung
Nun schlagen auch die Ärzte der «Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen» Alarm. Sie setzt auf die individuelle Einzelimpfung. Gegen eine Krankheit soll dann geimpft werden, wenn sie ein Risiko darstelle. Masern, Mumps und Röteln verursachen erst ab der Pubertät häufiger schwere Komplikationen. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) will hingegen bereits Kleinkinder gegen alle drei Krankheiten impfen und schlägt die Werbetrommel für den Kombi-Impfstoff.
Impfungen sind in der Schweiz freiwillig. Die Ärzte für differenziertes Impfen sehen diese Freiheit jetzt in Gefahr. Peter Klein, Hausarzt in Bern: «Wenn keine Einzelimpfstoffe mehr erhältlich sind, wird der freie Impfentscheid zum Papiertiger.» Und: «Das BAG zielt ganz auf die Ausrottung der Kinderkrankheiten. Deshalb wird es den Einzelimpfstoffen nicht nachtrauern.»
Dem widerspricht Hanspeter Zimmermann vom BAG: «Wir sind keineswegs erfreut.» Das BAG kläre zurzeit ab, ob Schritte von behördlicher Seite angezeigt seien.
Wenig Verständnis für die besorgten Eltern haben Hersteller und Händler. Pro Vaccine in Baar (ZG) und Glaxo Smith Kline in Münchenbuchsee (BE) bieten keine Einzelimpfstoffe mehr an. Andrea Bettiga von Glaxo Smith Kline: «Wir halten uns mit unserem Kombinations-Impfstoff an die Empfehlung des BAG.»
Die Schweizer Firma Berna Biotech produziert noch Einzelimpfstoffe. Roland Hoos, Berna-Verantwortlicher für medizinische Informationen: «Wir stellen sie für diejenigen her, die individuell impfen möchten, auch wenn die Nachfrage klein ist und Kombi-Impfstoffe vorzuziehen sind.» Allerdings gibt es die Impfung nur gegen Masern und Röteln.
«Eine Zumutung, Stoffe zu spritzen, die nicht nötig sind»
Auch wenn keine Einzelimpfstoffe mehr erhältlich sind, können Eltern den Impfzeitpunkt weiterhin selber bestimmen. Peter Klein: «Es ist nach wie vor verantwortbar, Kinder erst mit etwa 12 Jahren zu impfen.» Und zwar Buben und Mädchen, wenn sie keine Masern hatten, die Mädchen auch, wenn sie keine Röteln hatten. «Geimpft wird dann halt mit der Dreifachimpfung», so Klein. So bekommt zum Beispiel ein Mädchen, das Masern schon hatte, aber wegen Röteln geimpft werden sollte, den Masern-Impfstoff unnötig verabreicht. Das sei zwar gesundheitlich nicht allzu riskant, so Klein. «Es ist aber eine Zumutung, dem Kind Stoffe spritzen zu müssen, die es gar nicht benötigt.»
Aufruf
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