Ich vermisse meinen Liebsten unendlich. Alles an ihm. Ich möchte bei ihm sein. Mit ihm reden, lachen, ihn küssen und berühren.
Mein Freund lebt in Ungarn, 1000 Kilometer weit weg. Er ist die Liebe meines Lebens! Normalerweise sehen wir uns etwa alle zwei Wochen, entweder in Ungarn oder in der Schweiz, zwischendurch auch in Österreich. Doch jetzt geht das nicht. Die Behörden sind unerbittlich: Wegen Corona sind die Grenzen zu. Zuletzt sah ich meinen Freund am 12. März. Wir flanierten durch Salzburg und assen noch ein Schoggiglace. Ich hätte nie gedacht, dass wir uns danach so lange nicht sehen dürfen.
Das Schlimmste ist die Ungewissheit. Wie lange muss ich noch warten, bis ich ihn das nächste Mal umarmen darf? Ich bin verzweifelt und weine viel. Wir schreiben uns und telefonieren jeden Tag. Wenn es einmal nicht klappt, geht es mir noch schlechter.
Ich informierte mich bei verschiedenen Ämtern. Es hiess, ich könne schon nach Ungarn, müsse dort aber 14 Tage in Quarantäne. Wenn ich aber in Ungarn bin, möchte ich doch nicht in Quarantäne! Dann will ich meinen Liebsten sehen.
Ich bin reizbar und schnell ungeduldig. Zum Beispiel mit meinem 12-jährigen Sohn. Er hat fixe Handyzeiten. Gibt er sein Handy dann nicht sofort ab, werde ich laut und schimpfe. Normalerweise braucht es mehr, bis ich so reagiere.
Eigentlich bin ich ein optimistischer Mensch. Aber jetzt bin ich depressiv. Die Situation macht mich kaputt. Ich kann mich nicht mehr entspannen, finde keine Ruhe. Ich würde zwar gerne lesen, denn ich liebe Romane. Aber ich kann mich nicht konzentrieren. Mit Spaziergängen und Velofahren versuche ich mich abzulenken.
Am schlimmsten ist es in der Nacht. Ich nehme Baldrian zum Einschlafen, doch nach zwei Stunden bin ich wieder wach. Dann dreht das Gedankenkarussell: Ich denke an meinen Liebsten. Und ich überlege mir, wie lange wir noch getrennt sein werden. Manchmal denke ich in der Nacht auch daran, wie es den Menschen in Zeiten der DDR ergangen ist, als der Eiserne Vorhang die Familien voneinander trennte. So geht das, bis ich irgendwann aufstehen muss.
Ich fühle mich von den Behörden ungerecht behandelt. Das Virus ist doch überall. Warum schliessen sie denn die Grenzen noch? Es macht keinen Sinn.
Meinem Freund geht es noch schlechter als mir. Er merkt es körperlich: Er hat Schmerzen im Rücken und in den Beinen. Er ging zum Arzt deswegen. Doch der fand nichts. Der Arzt gab ihm Tabletten gegen Schmerzen und Entzündungen. Doch es nützte nichts. Wenn es ihm schlecht geht, geht es mir auch schlecht. Sobald die Grenzen aufgehen, will ich nur eines: meinen Liebsten in die Arme nehmen.
Coronavirus – ein Prüfstein für Fernbeziehungen
Seit dem 17. März sind die meisten Liebespaare, die in einer Fernbeziehung leben, getrennt. Der Bundesrat hatte wegen des Coronavirus den Einreisestopp verhängt. Laut dem Winterthurer Psychologen Henri Guttmann ist das für viele Paare schwierig. Denn sie können sich nicht auf ein fix abgemachtes Wiedersehen freuen. Wichtig ist es in dieser Situation, den andern nicht aus den Augen zu verlieren. Dazu gehört, jeden Tag schöne Erlebnisse zu teilen, per SMS oder Whatsapp. Über Lieferservice lassen sich auch Blumen versenden. Und besonders wichtig: Zukunftspläne schmieden und Ferien planen. Konflikte sollte man, sagt Henri Guttmann, nicht schriftlich klären, sondern über Skype oder Telefon: «Schriftliche Nachrichten führen schnell zu Missverständnissen.»