Als sie auf den Rücken fiel, gab es einen lauten Knall. Ines Diacon merkte sofort, dass etwas kaputt war. Die damals 73-Jährige war bei ihrer Tochter zu Besuch und wollte mitten in der Nacht das Fenster schliessen. Weil es dunkel war, stiess sie ihre Schulter an der Wand an und verlor das Gleichgewicht.
Wieder zu Hause im Zürcher Unterland stellte ihr Hausarzt fest, dass sie einen Lendenwirbel gebrochen hatte. Weil sie schon älter war, gehörte zu den darauffolgenden Untersuchungen im Spital auch eine Messung der Knochendichte.
Der Arzt sagte, sie habe Osteopenie, eine Vorstufe der Knochenkrankheit Osteoporose. Betroffene haben eine etwas geringere Knochendichte als normal. Viele Ärzte verschreiben in solchen Fällen Medikamente gegen Osteoporose.
Auch der Arzt in einem Zürcher Spital empfahl Ines Diacon, ein Medikament einzunehmen. Dieses soll den natürlichen Alterungsprozess des Knochens verlangsamen und so das Risiko eines Knochenbruchs verringern.
Doch Fachleute kritisieren: Bei einer Osteopenie brauchen Patientinnen in den meisten Fällen keine Medikamente. Hausarzt Günther Egidi aus Bremen (D) sagt, Ärzte würden mit der Diagnose Osteopenie immer mehr Gesunde für krank und behandlungsbedürftig erklären und ihnen Medikamente verordnen, die sie nicht brauchten.
Medikamente erhöhen Risiko für Krebs
In der Tat haben Medikamente bei Osteopenie einen geringen Nutzen. Eine Übersichtsstudie in der Fachzeitschrift «Reviews in Endocrine and Metabolic Disorders» zeigte bereits im Jahr 2012, dass Medikamente bei Patienten mit Osteopenie rund zehn Mal so schlecht wirken wie bei Patienten mit Osteoporose. Zudem können die Medikamente schwere Nebenwirkungen haben: Der Kieferknochen kann absterben, und das Risiko für Speiseröhrenkrebs steigt.
Der Begriff Osteopenie ist laut Egidi zudem «untauglich». Bei einer Osteopenie liegt die Knochendichte zwischen 1,0 und 2,5 Punkte unterhalb der Norm. Bei 2,5 und mehr Punkten spricht man von Osteoporose. Egidi: «Eine Osteoporose ausschliesslich nach dem Punktesystem zu diagnostizieren, ist dumm.» Um die Gesundheit der Knochen zu bewerten, müssten Ärzte auch Faktoren wie das Geschlecht und Begleitrisiken wie Rauchen, Untergewicht oder häufige Stürze miteinbeziehen.
Ines Diacon wollte deshalb vorläufig keine Medikamente nehmen. «Ich möchte kein Medikament gegen eine Krankheit, die ich noch gar nicht habe.» Das sagte sie auch ihrem Arzt. Lieber wollte sie ein Jahr später nochmals eine Messung der Knochendichte machen lassen und allenfalls Präparate mit Vitamin D und Kalzium einnehmen.
Kalziumpräparate bringen nichts
Thomas Walser findet Diacons Entscheidung gut. Auch der Gesundheitstipp-Arzt kritisiert die Praxis, bei Osteopenie gleich Medikamente zu verschreiben. Und auch andere Präparate brauche es meistens nicht. Vitamin-D-Tabletten sind laut Walser nur für über 60-Jährige angezeigt, wenn ein Mangel im Blut nachgewiesen ist. Von Kalziumpräparaten rät Walser ab: Sie könnten das Risiko für verkalkte Arterien und Herzinfarkt erhöhen.
Besser sei eine ausgewogene Ernährung mit viel Kalzium (siehe Tipps). Laut Thomas Walser sind 700 Milligramm Kalzium pro Tag ideal. «Und diese Menge kann man sehr gut über die Ernährung aufnehmen.» Bereits ein halber Liter Adelbodner oder Eptinger Mineralwasser enthält über 250 Milligramm davon. Weiter rät Walser zu einem gesunden Lebensstil mit viel Sport, Entspannungstechniken wie Yoga und einem moderaten Koffein- und Alkoholkonsum.
Tipps für starke Knochen
- Gehen Sie an die Sonne. Dort produziert der Körper das für Knochen wichtige Vitamin D.
- Auch fetter Meeresfisch wie Sardinen, Makrelen und Lachs sowie Eier enthalten Vitamin D.
- Mit regelmässigen Spaziergängen trainiert man die Muskeln und das Gleichgewicht und beugt damit Stürzen vor.
- Vermeiden Sie Alkohol und Koffein im Übermass.
- Auch leichtes Seil- und Trampolinspringen oder mässiges Joggen helfen.
- Essen Sie regelmässig Milchprodukte (vor allem Hartkäse), Nüsse, Trockenfrüchte, Hülsenfrüchte oder Gemüse wie beispielsweise Kohlrabi. Sie enthalten viel Kalzium.
- Entspannen Sie sich mit Yoga, Tai-Chi oder autogenem Training.
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