Herr Sprecher, Sie können nicht mehr schwingen. Wie gehen Sie damit um?
Wenn ich andere Schwinger sehe oder nur schon Sägemehl rieche, macht mich das traurig. Bis heute habe ich daran zu nagen.
Warum mussten Sie Ihre Schwingerkarriere aufgeben?
Beim Thurgauer Schwingfest 2017 konnte ich bei einem Schwung meinen Arm nicht mehr rechtzeitig unter dem Gegner wegziehen. Er fiel mit über 100 Kilo Kampfgewicht mit voller Wucht auf den Arm. Es knackte laut. Dennoch kämpfte ich weiter.
Hatten Sie keine Schmerzen?
Ich spürte zuerst nichts. Vielleicht lag es daran, dass ich aufgeregt und voller Adrenalin war. Schliesslich verfolgten rund 6500 Zuschauer den Wettkampf. Da steht man schon unter Druck. Wegen eines Knacks bricht man nicht einfach ab. Man kämpft bis zum Schluss. Ich gewann den Kampf und erzielte sogar das beste Ergebnis meiner Laufbahn.
Wann spürten Sie die Schmerzen?
Nach dem Wettkampf. Ein Arzt untersuchte meinen Arm und meinte zuerst, die Bizepssehne sei entzündet. Die Schmerzen waren unerträglich. Darum verabreichte er mir Kortisonspritzen. Ohne diese Spritzen hätte ich in der Nacht nicht schlafen können. Doch so wollte ich irgendwann nicht mehr weitermachen. Deshalb liess ich die Schulter in einer Klinik von Schulterchirurgen untersuchen. Sie waren schockiert und machten mir klar, dass ich mit dieser Schulter nicht mehr schwingen kann.
Warum?
Beim Unfall wurden Knochenteile komplett zertrümmert. Zudem hatten sich viele Knochensplitter gelöst. Zum Teil waren sie bereits mit dem Schultergelenk verwachsen. Die Bizepssehne war gerissen.
Wie ging es weiter?
Die Ärzte operierten die Bizeps sehne und entfernten alle Knochensplitter. Danach musste ich in die Physiotherapie. Dort machte ich Übungen, um die Schulter wieder beweglich zu machen.
Können Sie die Schulter heute wieder normal bewegen?
Ja, das geht wieder. Aber wenn ich Holz hacke, bin ich am nächsten Tag erschöpft. Ich habe weniger Muskeln, und das spüre ich.
Als Schwinger mussten Sie intensiv trainieren. Können Sie heute noch Sport treiben?
Früher ging ich vier bis fünf Mal pro Woche zum Sport – Ausdauertraining und Gewichte stemmen. Das geht heute nicht mehr.
Was liegt noch drin?
Ich gehe mit meinem Hund spazieren oder wandern. Im Herbst bin ich jeweils auf der Jagd. Früher trug ich eine 70 Kilo schwere Hirschkuh bis zur Jagdhütte – ohne Pause. Heute brauche ich auf dem Weg dorthin fünf bis sechs Pausen. Ich werde schnell müde.
Zur Person
Sandro Sprecher
Der 30-Jährige gehörte als Aktiver dem Nordostschweizer Schwingerverband an. In seiner Karriere holte er sechs Kränze und qualifizierte sich für das eidgenössische Schwingfest 2016 in Estavayer-le-Lac FR. Er arbeitet in einer Sicherheitsfirma in Bonaduz GR. Sprecher ist verheiratet und Vater eines Kindes.