Zelmira Eschler, Sie wissen nie, ob Sie am folgenden Tag arbeiten können. Macht Ihnen das Angst?
Ja, wenn ich zwei Wochen lang nur wenig Aufträge kriege, liege ich am Abend im Bett und rechne im Kopf, ob das Geld für alles reicht: Miete, Krankenkasse, Essen. Die letzten dreieinhalb Jahre hatte ich Glück: Ich hatte zwei Jobs und konnte 12 Stunden pro Tag putzen. Jetzt habe ich nur noch einen.
12 Stunden! Was ist, wenn Sie umkippen?
Bisher ist mir das noch nie passiert, doch ich fasse Holz an. Schliesslich bin ich eine alte Tante, da wird man schnell krank. Und wenn ich zu Hause im Bett liege, verdiene ich nichts.
Was würden Sie dann tun?
Für den Notfall habe ich ein bisschen Reserven auf der Seite. Ich lebe sparsam und gebe fürs Essen nur 100 bis 150 Franken im Monat aus. Am Wochenende bin ich meistens zu Hause, mache den Haushalt und lese oder schaue fern.
Ganz allein?
Ja, dafür skype ich stundenlang mit meinen Töchtern in der Slowakei und mit meiner Enkelin.
Haben Sie niemanden in der Schweiz?
Ich habe eine gute Kollegin. Aber meine Familie und meine Freundinnen aus der Kindheit leben in der Slowakei. Zweimal pro Jahr fahre ich nach Hause. Das letzte Mal war ich an Weihnachten dort.
Wie war es für Sie, hierher zurückzukommen?
Sehr schwer. Meine siebenjährige Enkelin hat gesagt: «Bitte bleib, Oma. Ich suche dir einen Job» (beginnt zu weinen). Aber es gibt keine Arbeit in der Slowakei für jemanden wie mich.
Sie würden also lieber in der Slowakei leben?
Klar. Aber meine Familie braucht das Geld, das ich in der Schweiz verdiene. Meine Enkelin wurde mit einem gespaltenen Gaumen und einer Hasenscharte geboren. Sie hatte schon vier Operationen und benötigt noch weitere. Ich schicke das Geld dafür.
Zahlt das denn nicht die Krankenkasse?
Doch. Nur – meine Tochter muss jeweils mit der Kleinen in die Stadt reisen und dort übernachten. Das ist sehr teuer, aber meine Tochter und ihr Mann haben kein Geld.
Können Sie nach Hause, wenn alle Operationen vorbei sind?
Nein, dann braucht das Mädchen noch eine Zahnspange. Ihre Zähne sind ganz schief. Und eine meiner Töchter studiert, ich zahle auch dafür. Die andere würde auch gern an die Universität, damit sie später genug verdient. Aber mein Geld reicht nicht für alles gleichzeitig.
Sie haben Ökonomie studiert. Ist das Putzen schlimm für Sie?
Das ist mir egal. Hauptsache ist, dass ich viel arbeiten kann. Das lenkt mich auch ab, dann werde ich nicht traurig.
Sie sind eine starke Frau, wie Sie hier ganz allein leben.
Ich muss. Aber ich habe grosses Glück. Ich habe einen fairen Chef und kriege 21 Franken pro Stunde. Schliesslich kommen Frauen aus aller Welt in die Schweiz, die für 14 Franken putzen müssen.
Zur Person: Zelmira Eschler
Sie hat in der Slowakei Ökonomie studiert. 2005 kam sie in die Schweiz. Hier arbeitet die 52-Jährige als Putzfrau. Der christlich-soziale Verein «Läbesruum» in Winterthur vermittelt ihr Arbeit auf Abruf.