Am Anfang hatte ich kein Gefühl mehr in der rechten Wange, dann in der Zunge und im Zahnfleisch. Mein Hausarzt schickte mich zum Neurologen. Ich musste eine Woche auf die Diagnose warten. Ich rechnete mit dem Schlimmsten und hatte schon Visionen von meiner eigenen Beerdigung. Die Diagnose multiple Sklerose erleichterte mich dann fast: Ich musste also nicht gleich sterben. Meinem Partner jedoch stiegen die Tränen in die Augen.
Anfänglich sah man mir die Behinderung nicht an. Trotz wöchentlicher Spritzen mit Interferon schritt die Krankheit aber rasch voran. Ich konnte mich nur noch langsam bewegen, war oft müde und hatte Gleichgewichtsstörungen. Arbeiten konnte ich bloss noch halbtags. Nach einem Jahr kündigte mir mein Arbeitgeber. Ich hatte keine Chance, einen neuen Job zu finden, und bekam eine Invalidenrente.
Es gibt Tage, an denen ich mich frage: Warum? Am schlimmsten empfinde ich, dass ich zuschauen muss, wie mein Körper zugrunde geht. Die Krankheit schränkt mich immer mehr ein. Zeitweise kann ich kaum ein Butterbrot streichen, weil meine Hände so zittern. Die Hölle wäre es, wenn ich meine Finger nicht mehr richtig bewegen könnte, denn ich spiele leidenschaftlich gerne Klavier. Zum Laufen benötige ich mittlerweile einen Gehstock. Trotzdem spaziere ich gerne im nahen Wald. Doch nach etwa 200 Schritten bin ich müde. Mehr als eine halbe Stunde körperlicher Aktivität liegt nicht drin. Dann verkrampfen sich die Muskeln und mein Fuss erlahmt. Manchmal stolpere und torkle ich. Es gibt Leute, die mich dann anstarren, weil sie wahrscheinlich denken, ich sei betrunken. Doch inzwischen ist mir das egal.
Seit drei Jahren fahre ich nicht mehr Auto. Das ist mir zu gefährlich. Meinen Kopf schnell zu bewegen, geht gar nicht. Ich habe grosse Mühe, das Gleichgewicht zu halten, meine Bewegungen kann ich schlecht koordinieren. In Kurven hatte ich das Gefühl, als würde mein Hirn im Kopf umherschweben. Auch Velofahren kann ich nicht mehr. Jetzt fahre ich mit einem Dreirad-Elektrovelo.
Mit meinem Partner kann ich glücklicherweise über alles reden. Die Krankheit hat uns nicht auseinandergebracht, sondern noch stärker zusammengeschweisst. Als er mich kennen lernte, war ich ein Bewegungsmensch und wir hatten viel zusammen unternommen. Wegen meiner Behinderung kann ich jetzt nicht mehr mithalten. Vor der Diagnose wollten wir noch gemeinsam das Gleitschirmfliegen lernen. Ich ermunterte ihn, es trotzdem und halt alleine zu tun.
In nächster Zeit bekomme ich ein neues Medikament. Das weckt in mir die Hoffnung, dass meine Beschwerden bessern.
Multiple Sklerose
Multiple Sklerose ist eine Krankheit des zentralen Nervensystems in Gehirn und Rückenmark. Das eigene Immunsystem schädigt die Nervenzellen. Das führt zu Symptomen wie Sehstörungen, Lähmungen, Schmerzen und Muskelkrämpfen. Viele Patienten sind dauernd müde und können sich schlecht konzentrieren. Die Beschwerden verschlimmern sich mit jedem Krankheitsschub. Häufig sind Frauen im Alter von 20 bis 45 Jahren betroffen. Die Ursachen sind unklar. Multiple Sklerose ist unheilbar. Die Therapie mit zahlreichen Medikamenten lindert die Symptome und vermindert die Häufigkeit der Schübe.
Weitere Infos und Hilfe
- MS-Gesellschaft, Josefstrasse 29 Postfach, 8031 Zürich
Tel. 043 444 43 43
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