Es war an einem Abend im Mai. Klänge eines Didgeridoos, einem Instrument der australischen Aborigines, tönten durch den Wald im aargauischen Oftringen. Rot schimmerte die Glut des Feuers im Dunkeln. Eine Gruppe von Leuten marschierte im Kreis darum herum. Dann war es soweit: Einer nach dem anderen ging über die Kohlen – barfuss. Auch Nora Bader. Zögerlich setzte die 28-Jährige einen Fuss auf den Glutteppich – und spürte die Hitze unter der nackten Haut. «Am liebsten hätte ich einen Rückzieher gemacht», erzählt sie.
Doch Bader ist Journalistin und wagte für das «Zofinger Tagblatt» einen Selbstversuch. Deshalb gab sie sich einen Ruck und überquerte die Glut. Doch nun sagt sie: «Ich würde kein zweites Mal einen Feuerlauf machen.» Denn das Ritual setzte ihr zu. «Als ich spät am Abend nach Hause kam, musste ich plötzlich weinen», sagt Bader, «das Ritual war ein riesiger Seelenstrip.» Nicht nur der Gang über die Glut selbst, auch die Übungen vorher seien ihr zu nahe gegangen.
Mit diesen sollten die Teilnehmer Selbstbewusstsein aufbauen. Der Organisator forderte sie zum Beispiel auf, barfuss über Scherben zu gehen oder ihre Ängste auf ein Brett zu schreiben und dieses von Hand zu zerschlagen. Zudem sollten sie auf eine Plattform stehen und sich dann mit verbundenen Augen rückwärts in die Arme der anderen Teilnehmer fallen lassen. Bader sagt: «Das war mir zu viel Esoterik.» Auch ging ihr gegen den Strich, dass sie eine Pfeilspitze gegen den nackten Hals drücken und sie so zerbrechen sollte.
«Das Ritual kann psychisch tief gehen»
Nora Bader nahm am Feuerlauf von Georgios Antoniadis teil. Dafür zahlte sie 320 Franken. Antoniadis verspricht, mit dem Ritual könne man «unbegründete Ängste überwinden und die mentale Stärke finden, um Probleme zu lösen oder Entscheidungen zu fällen». Grund: Um über Glut zu gehen, müsse man mutig sein und den Respekt vor dem Feuer überwinden. Dann merke man, welch grosse Kräfte in einem steckten und gewinne Selbstbewusstsein. Das helfe, alltägliche Herausforderungen zu meistern.
Andere Veranstalter argumentieren ähnlich. Zum Beispiel Marius Boesch aus Dettighofen-Lengwil TG. Er schreibt auf seiner Website, mit dem Feuerlauf liessen sich «Ängste und Blockaden in positive Energie umwandeln». Laut Nick Lötscher aus dem bernischen Thierachern kann man erleben, «was mit einer starken und klaren mentalen Ausrichtung in nur kurzer Zeit möglich ist». Und für Markus Hardegger aus Elgg ZH macht der Feuerlauf die eigene «mentale Stärke sichtbar und gibt mehr Selbstsicherheit in jeder Lebenssituation».
Doch Fachleute halten Feuerläufe keineswegs für so harmlos. Sie könnten Ängste auslösen statt heilen. Der Winterthurer Arzt Hans Wehrli warnt: «Das Ritual kann psychisch tief gehen.» Baders emotionale Reaktion sei erklärbar, so der Präsident der Ärztegesellschaft für Hypnose. Wenn jemand sich intensiv auf rituelle Übungen konzentriere, kapsle er sich gedanklich von der Aussenwelt ab. So komme er in einen Trance-ähnlichen Zustand, psychische Schutzschilde würden fallen. Bei gewissen Menschen könne das noch viel happigere Folgen haben, sagt Wehrli. «In einem solchen Moment brechen manchmal traumatische Erlebnisse wieder auf, die ein Mensch für längst abgeschlossen hielt.» Feuerläufe seien kein Rezept gegen Furcht. «Heilversprechen damit zu verbinden ist unseriös,» so Wehrli.
Für Bader hatte der Feuerlauf auch körperliche Folgen. «In der Nacht nach dem Ritual fühlten sich meine Füsse plötzlich heiss an und brannten», erzählt sie. Und ihre Beine seien bleischwer gewesen und hätten geschmerzt. Das ging Wochen so. Ständig wachte die junge Frau deswegen nachts auf. «Dann duschte ich meine Beine kalt ab.»
Bei Feuerläufen verletzen sich immer wieder Menschen. 2008 ging eine Frau aus dem Kanton St. Gallen vor Gericht, weil sie sich die Füsse verbrannt hatte. Denn eine der Gefahren sind zu hohe Temperaturen. Forscher des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Urban Ethnology in Wien belegten durch Selbstversuche: Holzkohleglut kann man nur überqueren, wenn sie weniger als 500 Grad heiss ist.
Bei dünner Hornhaut steigt das Risiko
Biologe Martin Mahner vom deutschen «Zentrum für Wissenschaft und kritisches Denken» sagt: «Holzkohle leitet Wärme schlecht.» Bei Temperaturen unter 500 Grad erwärme sich die Haut nicht so stark, dass sie verletzt werde. Es bestehe jedoch immer die Gefahr, dass man das Feuer betrete, bevor sich eine Ascheschicht gebildet hat: «Sie isoliert die Wärme und schützt die Füsse», sagt Mahner. Gefährlich werde es auch, wenn man zu langsam gehe. Zudem könnten Glutstückchen an den Zehen kleben bleiben und sie verbrennen. «Wer eine dünne Hornhaut hat, ist noch mehr gefährdet», so Mahner.
Georgios Antoniadis schreibt dem Gesundheitstipp, Nora Bader sei die erste von 1000 Klientinnen und Klienten, der es nach dem Feuerlauf schlecht gegangen sei. Mit einer guten mentalen Vorbereitung sei das Risiko klein, dass man sich verbrenne. Grundsätzlich sei es so: Wenn man denke, dass man sich weh tue, sei die Wahrscheinlichkeit viel grösser, dass das auch passiere.
Markus Hardegger und Nick Lötscher sagen, ihre Erfahrung zeige, dass ein Feuerlauf Menschen Vertrauen in ihre Fähigkeiten gebe und helfe, Herausforderungen zu meistern. Laut Hardegger hat keiner seiner 2000 Teilnehmer traumatische Erfahrungen gemacht. Lötscher räumt ein, der Feuerlauf ersetze keine Psychotherapie. Und Marius Boesch wollte nicht Stellung nehmen.
Nora Bader hat die Geschichte emotional zwar überwunden. Doch heisse Füsse hat sie noch immer. «Wenns nicht besser wird, gehe ich zum Arzt», sagt sie.
Tipps: So erkennen Sie unseriöse Therapeuten
- Der Therapeut verspricht eine rasche und komplette Heilung.
- Er stellt die Methode als risikolos und ohne Nebenwirkungen dar.
- Er äussert sich abschätzig über Schulmedizin oder Wissenschaft.
- Er wirbt mit Patienten, denen er geholfen hat.
- Der Therapeut drängt Sie, sofort mit der Behandlung zu beginnen.
- Die Kosten sind nicht klar aufgelistet. Manchmal wird auch eine Vorauszahlung verlangt.
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