Gerüche sind für mich ganz wichtig. Der Duft vom Mittagessen in der Kantine und von frischem Kaffee sind Höhepunkte im Tagesablauf. Natürlich auch der Geschmack auf der Zunge. Ich esse gern und erfreue mich an der unterschiedlichen Textur der Nahrungsmittel: weich, knusprig, knackig. Ich gehe gerne alleine einkaufen – meistens Früchte. Ich erkenne sie am Geruch. Beim Bezahlen halte ich mit dem Tastsinn die Münzen im Portemonnaie auseinander.
Ich kann fast nichts sehen und hören tue ich nichts. Trotzdem liebe ich Musik. Ich spiele Didgeridoo und Alphorn. Die Töne kann ich durch die Bewegung der Luft auf meiner Haut und durch die Vibration des Bodens mit den Füssen spüren. Ich nehme regelmässig Unterricht. Der Lehrer spielt einen Ton vor und ich versuche, genau die gleiche Schwingung zu treffen. Ich gehe auch gerne an Konzerte. Denn ich liebe die Klänge von Musik, die durch meinen Körper gehen. Ich kann sie noch besser spüren, wenn ich einen aufgeblasenen Ballon oder eine leere Plastikdose in den Händen halte.
Vor zwanzig Jahren verlor ich nach den Masern auch noch mein Augenlicht fast vollständig. Nur ein Röhrenblick von der Grösse einer Handfläche ist übrig geblieben, und leider ist dieser Fleck fast immer verschwommen. Trotzdem lese ich jeden Tag Zeitung und Zeitschriften mit der Lupe. Als ich merkte, dass meine Augen zu schlecht wurden, um Lippen zu lesen, war ich verzweifelt. Ich musste neue Wege finden, um mich mit meinen Freunden zu unterhalten. Ich erlernte deshalb die Blindenschrift und Lormen, das Alphabet für Taubblinde: Dabei schreiben mir die anderen Menschen Buchstaben in die Hand.
Seit gut zwei Jahren lebe ich im Seniorenzentrum. Ich gehe jeden Tag allein spazieren. Es kommt vor, dass Leute schockiert sind, wenn sie meinen Blindenstock sehen und merken, dass ich auch nichts höre. Dann kann es geschehen, dass sie mich aus Hilfsbereitschaft am Arm nehmen und irgendwohin führen wollen. Manchmal werde ich dann wütend, denn in meiner vertrauten Umgebung finde ich mich gut allein zurecht. Im Alltag kenne ich alle Wege genau. Aber wenn mich jemand davon ablenkt, habe ich Mühe, den Weg zurück zu finden.
Als Kind hatte ich immer von einem zweibeinigen Wesen geträumt, das mich als seinesgleichen akzeptiert. Auf einer Reise nach Australien ging für mich dieser Traum in Erfüllung: Ich lernte Kängurus kennen. Seither haben mich diese Tiere nicht mehr losgelassen: Ich forschte über sie und schrieb Bücher. Meine Träume sind mir geblieben. Ich träume fast jede Nacht und dafür bin ich dankbar. Denn im Traum kann ich alle Farben sehen. Gerade so, wie ich die Welt als Kind gesehen habe.
Lormen – das Alphabet für taubblinde Menschen
Lormen ist eine Technik, um mit Taubblinden in Kontakt treten zu können. Dabei tippt und malt man Punkte und Striche in die Handfläche. Ein sanfter Klaps auf die Hand zeigt das Wortende an. Ein leichtes Klopfen bedeutet Ja, eine Seitwärtsbewegung wie mit einem Radiergummi heisst Nein. Lormen findet immer in der Schriftsprache statt. Erfunden wurde das Alphabet 1881 von Hieronymus Lorm im heute tschechischen Mähren, nachdem er zuerst taub wurde und später erblindete. Heute ist es im deutschsprachigen Raum das gebräuchlichste Mittel, um mit Menschen zu kommunizieren, die weder sehen noch hören können.
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