Die Giftspritzer kamen in der Nacht vom 2. auf den 3. Juli 2013. Mitarbeiter der Firma Insekt-Killer aus Domat-Ems GR versprühten ein Insektengift mit dem Wirkstoff Deltamethrin im Kurhaus Bergün. Sie behandelten damit den Speisesaal, die Küche und andere Räume. Die Direktion hatte die Firma bestellt, um Fliegen loszuwerden. Wie stark das Gift wirkt, bekam die Hotelangestellte Susanne Rösli sehr schnell zu spüren. Um 6 Uhr, vor dem Frühstück, musste sie alle Tücher entfernen, die Tische und Kochherd während des Gifteinsatzes bedeckt hatten.
Danach betrat Rösli das Office – den Raum, in dem das Servicepersonal Getränke und Speisen vorbereitet. Plötzlich bekam sie starke Beschwerden. «Ich stand in einer modrig riechenden Nebelwolke», berichtet sie. «Ich sah nichts mehr, bekam keine Luft, musste husten und verlor die Orientierung. Ich konnte mich nicht mehr bewegen und hatte grosse Angst.»
Eine Mitarbeiterin der Firma Insekt-Killer, die Schutzanzug und Gasmaske trug, habe sie dann in den Korridor hinausgeführt. «Beim Eingang war kein Warnhinweis angebracht, dass man die Räume wegen des Insektengifts nicht betreten dürfe», sagt Susanne Rösli. Nach dem Kontakt mit dem Insektengift litt sie an Schwindel, Kopfschmerzen, tränenden Augen, Durchfall, Übelkeit, Angstattacken und Müdigkeit.
Seit über einem Jahr arbeitet Susanne Rösli nicht mehr im Kurhaus. Doch die 53-Jährige leidet nach wie vor an Müdigkeit, Schlafstörungen, Verdauungsproblemen und an einer Angststörung. «Sobald ich Chemikalien wahrnehme, die ähnlich riechen wie das Insektengift, bekomme ich Panik», sagt sie. Ihre Hausärztin Heide-Marie Troxler sagt: «Die Symptome sind vermutlich eine Folge des Kontakts mit dem Insektengift. Frau Rösli war vor dem Ereignis körperlich und seelisch gesund.»
«Deltamethrin gegen Fliegen ist falsch»
Fachleute kritisieren den Einsatz von Deltamethrin in Essräumen scharf. Manuel Wegmann, Geschäftsführer der Firma Anticimex in Glattbrugg ZH und Präsident des Verbands Schweizerischer Schädlingsbekämpfer, sagt: «Der Einsatz von Insektiziden wie Deltamethrin gegen Fliegen in Restaurants ist grundsätzlich falsch.» Wegmann: «Das ist, wie wenn man mit Kanonen auf Spatzen schiessen würde.»
Gäste und Personal können, so Wegmann, gesundheitliche Beschwerden bekommen, wenn sie besprühte Oberflächen wie Tische oder Wände regelmässig anfassen. Auch die Mitarbeiter von Schädlingsbekämpfer-Firmen seien gefährdet: Selbst beim fachgerechten Anwenden könne das Gift die Haut reizen. Wirksamer und kostengünstiger seien sanfte Massnahmen wie Fliegengitter oder Perlenvorhänge und UV-Geräte, ebenso wie das Vermeiden von Gerüchen, die Fliegen anziehen.
Auch langfristige gesundheitliche Folgen sind bekannt: Eine Studie zeigte, dass ein Drittel von 23 untersuchten Patienten nach dem Kontakt mit Pyrethroiden an einer Chemikalien-Überempfindlichkeit litten. Deltamethrin gehört zu dieser Gruppe von Insektengiften.
Eine neue Studie aus den USA ergab zudem, dass Pyrethroide bei Jugendlichen die Gefahr erhöhen, an einer Aufmerksamkeitsstörung zu erkranken.
Bundesamt: «Das Gift ist in Essräumen erlaubt»
Laut dem Bundesamt für Gesundheit ist der Einsatz von Deltamethrin in Essräumen und in der Küche erlaubt. Dominique Buehler, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Bundesamts, sagt: «Insektenbekämpfer müssen aber dafür sorgen, dass beim Sprühen keine Drittpersonen Zutritt haben und dass keine Lebensmittel kontaminiert werden.»
Christof Steiner, der Direktor des Kurhauses Bergün, schreibt in einer Stellungnahme, das Insektengift sei «unter Einhaltung der nötigen Sicherheitsvorkehrungen und Vorschriften» eingesetzt worden. Die Firma Insekt-Killer und das Amt für Lebensmittelsicherheit hätten ihm versichert, dass das Mittel auch in «sensiblen Bereichen» eingesetzt werden könne.
Steiner räumt ein, dass nach der Behandlung keine Warnhinweise angebracht worden waren. Die «sensiblen Bereiche» seien jedoch während des Sprühvorgangs «ordentlich abgesichert und zugedeckt worden, sodass der Kontakt mit der Substanz für jedermann auf ein Minimum beschränkt werden konnte». Das Kurhaus habe «über Jahre hinweg» auch alternative Mittel wie UV-Geräte, Klebefolien, Sprühdispenser und Fliegenklatschen eingesetzt. Diese hätten aber nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Steiner verspricht, weiterhin Alternativen zum Fliegengift zu suchen.
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Installierte Fliegengitter in der Küche
Hotel Ofenhorn, Binn VS
Verwendet Klebestreifen, Fliegengitter, UV-Gerät, Fliegenklatschen
Gasthof zum Hirschen, Oberstammheim ZH
Mit biologischem Insektenmittel aus Spray-Dispenser und UV-Lampe