Neulich auf dem Spielplatz hatte ich das Gefühl, dass mein Mann neben mir sitzt. Ich spüre oft, dass er da ist und mir Zeichen gibt. Manchmal spreche ich mit ihm oder frage ihn um Rat. Immer wieder hadere ich mit meinem Schicksal. Im Sommer trug ich mal ein farbiges Kleid und habe mich toll darin gefühlt. Am Abend ging es mir dann schlecht – weil ich dachte, es sei noch zu früh, um Farbe zu tragen und fröhlich zu sein.
Mein Mann Carlos ist vor einem Jahr an Krebs gestorben. Unsere Kinder waren da gerade zwei und drei Jahre alt. Nach seinem Tod weinten sie monatelang jede Nacht. Ich tröstete sie und wusste dabei selber nicht, wie ich mit meiner Trauer umgehen soll. Am Anfang ging es nur darum, die Tage irgendwie zu überstehen. Oft wusste ich nicht, welcher Wochentag war. Ich vergass Dinge, die ich erledigen wollte. Dann fing ich an, mir Notizen zu machen. So bekam ich wieder den Überblick.
Inzwischen bin ich auf einem guten Weg, denke ich. Aber manchmal passiert etwas, das mich völlig zurückwirft. Das kann ein Geburtstag sein oder wenn mir die Kinder nach der Spielgruppe strahlend in die Arme laufen. Es bricht mir das Herz, dass ich solche Augenblicke nicht mit meinem Mann teilen kann. Schlimm ist es auch, wenn jemand sagt: «Oh, du trägst ja immer noch den Ehering!» oder: «Du kannst doch nicht ewig trauern.»
Wenn es mir schlecht geht, geben mir meine Kinder Kraft. Heute sind sie es, die mich trösten. Wenn ich weine, bringen sie mir Taschentücher. Ich weiss nicht, ob ich ohne sie noch hier wäre. Gleichzeitig rauben sie mir viel Energie. Wenn ich streng mit ihnen bin, sagen sie, dass sie zu Papi wollen und mich nicht gernhaben. Das tut mir weh, und ich habe dann Angst, dass ich es allein nicht schaffe. Carlos war der Geduldigere von uns beiden. Er konnte den Kindern auf seine liebevolle Art klare Grenzen setzen.
Als die Ärzte den Tumor in seinem Magen entdeckten, war die Krankheit schon weit fortgeschritten. Unser letztes gemeinsames Jahr war geprägt von Therapien, Operationen und unsäglichen Schmerzen. Es ist schlimm genug, dass er so jung starb. Warum musste er dabei noch so leiden? Am Schluss griff der Krebs seine Knochen und die Leber an. Doch mein Mann kämpfte bis zum Schluss. Eine halbe Stunde bevor er starb lief ihm noch eine Träne übers Gesicht. Carlos’ grösster Wunsch war es, Papi zu sein. Es muss schrecklich für ihn gewesen sein, zu erkennen, dass ihm nur so wenig Zeit mit den Kindern blieb.
Es vergeht kein Tag, an dem Carlos bei uns nicht Thema ist. Ich sage den Kindern zum Beispiel: «Schaut, Papi lässt die Sonne scheinen, damit wir draussen spielen können.» Oder ich sage ihnen, wie stolz ihr Papi auf sie ist. Es ist mir wichtig, dass sie ihn nie vergessen.
Ich gebe meine Kinder nur ab, wenn ich zur Arbeit gehe. Dann sind sie bei einer Tagesmutter. Ich arbeite 50 Prozent in einem Restaurant. Wir brauchen das Geld, aber die Arbeit lenkt mich auch ab und hilft mir zur Normalität zurück.
Zur Trauer kommt die Sorge um die Kinder
Jedes Jahr sterben in der Schweiz rund 2000 Väter und Mütter mit minderjährigen Kindern. Im Jahr 2020 waren es 1295 Männer und 601 Frauen, wie Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen. Michael Freudiger, Notfallpsychologe aus Winterthur ZH, sagt: «Für die Betroffenen ist das schwer, denn sie trauern um den verlorenen Partner und müssen gleichzeitig ihre Kinder unterstützen.» Am besten gehe man offen und ehrlich mit der Trauer um, sagt Freudiger: «Man muss nicht das Gefühl haben, die Kinder schonen oder den verstorbenen Elternteil ersetzen zu müssen.» Gerade bei kleinen Kindern sei das oft ein Problem, denn diese seien fast nur auf die eigene Familie fokussiert.
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