Frau Hediger, Sie sind sehr mutig: Trotz der grossen Gefahr gingen Sie nach Westafrika.
Nein, ich bin nicht besonders mutig. Als mich das Rote Kreuz anfragte, zögerte ich zuerst. Ich diskutierte drei Tage lang mit meiner Familie, ob ich gehen soll.
Warum sagten Sie zu?
Ich bin dankbar, dass ich in einem schönen, sicheren Land leben darf. Deshalb wollte ich Menschen etwas geben, denen es nicht so gut geht.
Hatten Sie keine Angst davor, sich anzustecken?
Ich hatte Respekt, nicht Angst. Ich wusste, dass ich sehr gut aufpassen musste beim An- und Ausziehen des Schutzanzugs. Wenn man das korrekt durchführt, kann man sich nicht anstecken. Andere Sachen belasteten mich mehr.
Was denn?
Ich wusste, dass ich auf keinen Fall Fieber bekommen durfte. Sonst hätte ich sofort heimfliegen müssen. Als mich eine Mücke stach, wurde ich nervös. Denn ich hätte Denguefieber bekommen können.
Waren Sie sicher, dass Sie kein Ebola bekommen können?
Nein. Aber ich tat alles, um mich zu schützen. Ich nahm Multivitaminpräparate und ich cremte meine Hände ein, damit die Haut keine Risse bekam. Dennoch waren die ersten Tage sehr anstrengend.
Warum?
Ich durfte keine Fehler machen, weil sonst mein Leben gefährdet gewesen wäre. Zudem wird es im Schutzanzug bis 45 Grad heiss. Nach einer Stunde waren meine Kleider ganz nass. Ebola führt dazu, dass sich manche Patienten unruhig verhalten. Ein Patient schlug oft um sich. Wenn er mir die Schutzbrille weggeschlagen hätte, wäre ich den Viren ausgesetzt gewesen.
Trotz der Schutzkleider sind Pfleger und Ärzte gestorben.
Ja. Die Gefahr eines falschen Handgriffs ist grösser, wenn man übermüdet ist. Deshalb arbeitete unser Team nicht von morgens früh bis abends spät, wie ich es von früheren Hilfseinsätzen in Haiti und Tschad gewohnt war. Ich hatte pro Tag nur drei bis vier Stunden Kontakt mit Patienten.
Sahen Sie auch Patienten, die starben?
Ja. Ihre Familien war oft weit weg. Niemand kam, um von ihnen Abschied zu nehmen. Das tat mir weh im Herzen. Aber es gab auch schöne Momente. Wir betreuten ein elfjähriges Mädchen. Ich blies einen Gummihandschuh auf und malte ein lachendes Gesicht darauf. Das Mädchen hatte grosse Freude.
Wie reagierte Ihr Umfeld, als Sie heimkamen?
Eine Bekannte sagte: «Du steckst uns an, wir werden alle sterben.» Aus Rücksicht machte ich drei Wochen lang keine Besuche, bis definitiv klar war, dass ich keine Viren habe.
Zur Person: Sabine Hediger
Die 45-jährige Sabine Hediger ist Pflegefachfrau und Hebamme. Als Mitglied des Nothilfeteams des Schweizerischen Roten Kreuzes leistete sie im September einen dreiwöchigen Hilfseinsatz im westafrikanischen Land Sierra Leone. Sie wohnt mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in Oberkirch LU.